SCHULTE RECHTSANWÄLTE.

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9. GWB-Novelle und Verhandlungsmacht im LEH (I): Das "neue" Anzapfverbot

Mitten in die Konzeption meiner Serie zum Thema LEH und Verhandlungsmacht im Rahmen der 9. GWB-Novelle platzte der Regierungsentwurf zur 9. GWB-Novelle. Dieser füllt die Lücke zum Thema Verschärfung des Anzapfverbots (§ 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB ggfs. iVm § 20 Abs. 2 GWB) und Verkauf unter Einstandspreis (§ 20 Abs. 3 GWB), welche der Referentenentwurf in letzter Sekunde eröffnete.

Die Geschichte des (kartellrechtlichen) Anzapfverbots in Deutschland kann kurz oder lang erzählt werden. Eine längere Version hatte ich bereits in der November Ausgabe der WuW 2015 dargelegt. Daher hier nur die Eckdaten: theoretisch soll die Norm dafür sorgen, dass das Verlangen ungerechtfertigter Konditionen und Entgelte durch nachfragestarke Abnehmer kartellrechtlich unzulässig und entsprechend sanktionierbar ist. Dem Gesetzgeber schwebte bei der Gestaltung der Norm stets das Beispiel der starken Lebensmittelhandelsketten und deren Verhandlungen mit Lieferanten vor. Stichworte sind seit je her „Hochzeitsrabatte“ nach Filialübernahmen, Einmalzahlungen, einseitige Nachforderungen bei bereits ausgehandelten Konditionen, etc. pp. Die Norm blieb jedoch in all den Jahren und ungeachtet ihres jeweiligen Wortlauts unangewendet.

Ein Anwendungsfall. Endlich.

Dies galt jedenfalls bis zur Sektoruntersuchung Lebensmitteleinzelhandel des Bundeskartellamtes und des anschließend eingeleiteten Verfahrens gegen EDEKA wegen der Hochzeitsrabatte, die für die Übernahme der PLUS-Filialen von den Lieferanten verlangt wurden (aka EDEKA-Tengelmann, der Saga erster Teil). Das Kartellamt legte auf knapp 200 Seiten dar, wieso EDEKA beim Konditionenabgleich missbräuchlich gehandelt haben soll. Bemängelt wurden insbesondere die intransparente und für die Lieferanten nicht nachvollziehbare Darstellung und Begründung von Forderungen der Lebensmittelhändler. Zudem wurde an der Angemessenheit der geforderten Konditionen gezweifelt.

Endstation Düsseldorf.

Das Bundeskartellamt – man kann es nicht anders beschreiben – erlitt vor dem OLG Düsseldorf in Sachen Hochzeitsrabatte und Anzapfverbot Schiffbruch. Die Beschwerde von EDEKA gegen den Beschluss des Amtes griff durch. Die Düsseldorfer Richter sahen es nicht als erwiesen an, dass EDEKA die zulässigen Grenzen des harten Verhandelns überschritten habe. Anders gewendet: eine erfolgreiche Anwendung des Anzapfverbots scheiterte daran, dass das Bundeskartellamt auf Sachverhaltsebene einen Verstoß nicht belegen konnte. Diese Begründung muss die Bonner Behörde besonders schmerzen, da im Vorfeld des Verfahrens immer wieder von der damaligen Vorsitzenden der zuständigen 2. Beschlussabteilung, Birgit Krueger, betont wurde, dass man eine bessere Tatsachengrundlage nie wieder herstellen könne, wie im Nachgang zur Sektoruntersuchung Lebensmitteleinzelhandel.

9. GWB-Novelle – eine neue Hoffnung?

Betrachtet man die Geschichte des Anzapfverbots bis hierhin, steht völlig außer Zweifel, dass es de lege lata keinen neuen Anwendungsfall für die Norm geben wird. Jedenfalls keinen, der vom Bundeskartellamt aufgegriffen wird. Die Behörde muss mit ihren Kapazitäten haushalten. Hierzu passt es nicht, langwierige und schwierige Verfahren einzuleiten, die letztlich am Niederrheinufer zerschellen.

Ohne Gesetzesänderung daher faktisch kein Anzapfverbot mehr in Deutschland. Schlimmer noch, aufgrund des abweisenden Urteils des OLG Düsseldorf wird die Vorfeldwirkung der Norm erheblich reduziert. Mussten nachfragestarke Abnehmer vorher zumindest noch theoretisch das Damoklesschwert des Anzapfverbots spüren, haben sie aus Düsseldorf nunmehr die Bestätigung, wie weit sie jedenfalls gehen dürfen, ohne in kartellrechtlich schwieriges Fahrwasser zu geraten. Als Ausweg bleibt derweil daher nur der BGH, bei welchem das Bundeskartellamt die Rechtsbeschwerde eingereicht hat. Wobei…da der erste Kartellsenat des OLG Düsseldorf entschieden hat, ist traditionell zunächst die Nichtzulassungsbeschwerde zu erheben.

Berlin? Symbolpolitik at its best.

Wie lautet also die Antwort aus dem politischen Berlin? Nun, der Regierungsentwurf sieht folgenden Wortlaut für die künftige „Verschärfung“ des Anzapfverbots vor: Missbräuchlich handelt ein marktbeherrschendes Unternehmen (§§ 18, 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB) bzw. ein Unternehmen mit Nachfragemacht (§ 20 Abs. 2 GWB) sofern es:

andere Unternehmen dazu auffordert, ihm ohne sachlich gerechtfertigten Grund Vorteile zu gewähren; hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob die Aufforderung für das andere Unternehmen nachvollziehbar begründet ist und ob der geforderte Vorteil in einem angemessenen Verhältnis zum Grund der Forderung steht.

Der „Gesetzgeber“ nimmt folglich eine Verschärfung vor, indem er die Auslegung des Anzapfverbots durch das Bundeskartellamt im Fall Hochzeitsrabatte EDEKA als Halbsatz in das Gesetz inkorporiert. Leider erläutert der Gesetzgeber nicht, was das bringen soll. Denn das Bundeskartellamt ist ja nicht in Düsseldorf gescheitert, weil man dort den Maßstab des Amtes negiert hat. Vielmehr war es dem Amt nach Ansicht der Richter nicht gelungen, die notwendigen Tatsachen zu belegen, die einen Verstoß belegen. Der Gesetzgeber erleichtert durch die stumpfe Wiederholung des vom Bundeskartellamt entwickelten Maßstabs nicht die Beibringung entsprechender Belege für einen Verstoß. Anders gewendet: sofern der BGH die Entscheidung des OLG Düsseldorf aufrecht erhält, ist das „neue“ Anzapfverbot weiterhin ein Zombieparagraph im früher mal als wirtschaftspolitischen Grundgesetz gepriesenem GWB. Hanno Bender von der Lebensmittelzeitung hat dieses Vorgehen zutreffend als „Symbolpolitik“ bezeichnet (Ausgabe 40 vom 7. Oktober 2016, S. 2).

Die Ursachenforschung für diese Symbolpolitik ist schnell abgeschlossen. Der Regierungsentwurf zum Anzapfverbot soll insbesondere dem Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Christian Schmidt, den Rücken stärken. Dieser wird versuchen, den unter dem Preiskampf leidenden Milchbauern die „Verschärfung“ des Gesetzes als Erfolg zu verkaufen. Dabei geht aus Kommentaren in Online-Foren deutlich hervor, dass sich die Milchbauern diesbezüglich keinen Illusionen hingeben und kartellrechtliche Gesetzesänderungen nicht als geeigneten Hebel für ihre Preis- bzw. Kapazitätsprobleme betrachten.

Auch das Wirtschaftsressort dürfte mit dem Entwurf gut leben können. Es steht jedenfalls bei der gegenwärtigen Sachlage nicht zu befürchten, dass bei künftigen Treffen mit Vertretern großer Einzelhandelsketten die Stimmung durch eine überbordende kartellrechtliche Begrenzung der Verhandlungsmacht getrübt wird.

Bleibt das ebenfalls beteiligte Justizministerium. Dort dürfte man froh sein, dass bei der Umsetzung der EU-Kartellschadensersatzrichtlinie in § 33 GWB n.F. nicht die Kleinbuchstaben ausgegangen sind. Zudem hat man großen Wert auf die Schließung der sog. Wurstlücke gelegt, die das Ressort bei der 8. GWB-Novelle sehenden Auges offen gelassen hat und die den Bundeshaushalt mehrere hundert Millionen Euro an entgangenen Kartellbußgeldern kosten könnte.

Bonn…gute Miene zum bösen Spiel.

Wie geht man eigentlich beim Bundeskartellamt mit der neuen Regelung um? Schließlich ist es die Bonner Behörde, die das „neue“ Anzapfverbot wird anwenden müssen. Ausweislich einer Stellungnahme des Präsidenten, Herrn Andreas Mundt, begrüße man die geplanten Änderungen, an denen die Behörde mitgewirkt habe, erhoffe sich aber vor allem eine Vorfeldwirkung (Quelle: Lebensmittelzeitung Nr. 40 vom 7. Oktober 2016, S. 2).

Das ist insofern interessant, als dass die Behörde noch zur abstrakten Forderung nach einer Verschärfung des Anzapfverbots durch den Referentenentwurf zur 9. GWB-Novelle Folgendes geäußert hatte:

Schließlich bestehen aus Sicht des Bundeskartellamts Zweifel, ob die im Referentenentwurf bisher nur […] angekündigte Verschärfung des sog. Anzapfverbots – vorbehaltlich ihrer konkreten Ausgestaltung – erforderlich und zweckmäßig sind.

Im Hinblick auf die angekündigte Verschärfung des sog. Anzapfverbots (§ 19 Abs. 1, 2 Nr. 5 i. V. m. § 20 Abs. 2 GWB) erscheint eine gesetzgeberische Initiative zum jetzigen Zeitpunkt nicht unbedingt geboten. Nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf im EDEKA-Konditionenverfahren (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. November 2015 – VI-Kart 6/14; Bundeskartellamt, Beschluss vom 3. Juli 2014, Az. B2-58/09) ist die bestehende Regelung derzeit Gegenstand einer Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof. Vor diesem Hintergrund wäre es aus Sicht des Bundeskartellamts vorteilhaft, zunächst eine weitere gerichtliche Klärung abzuwarten. Erst bei Vorliegen einer Entscheidung kann der tatsächliche Bedarf für ein Handeln des Gesetzgebers und eine mögliche Verschärfung sicher bestimmt werden.

Herrn Mundts Äußerung zur Vorfeldwirkung darf daher getrost so verstanden werden, dass das Bundeskartellamt das neue Anzapfverbot in der praktischen Anwendung nicht einmal mehr mit der Kneifzange anfassen wird. Wie bereits ausgeführt ist die Vorfeldwirkung des Anzapfverbots (alt und neu) seit der Entscheidung des OLG Düsseldorf nur noch Makulatur.

Karlsruhe… immer wieder Karlsruhe.

Es sei denn in Karlsruhe wird der Fall der Hochzeitsrabatte von EDEKA durch den BGH anders bewertet als in Düsseldorf. Die Aussichten dürften gering sein. Wie ausgeführt, stützt das OLG seine Argumentation insbesondere auf die Ebene des Sachverhalts. Auf diesem Terrain gibt es in der Rechtsbeschwerde vor dem BGH in aller Regel nichts zu gewinnen.

Ärgerlich ist aber, dass letztlich auch der Gesetzgeber die (effektive) Wirksamkeit einer „neuen“ Vorschrift vollständig in die Hände der Richter legt. Da tröstet es kaum, dass es ausnahmsweise nicht die Karlsruher Richter mit rotem Gewand sind, die als politischer Prellbock herhalten müssen.

Fazit.

Egal wie Karlsruhe entscheidet, das Anzapfverbot ist auch in seiner „neuen“ Gestalt eine tote Norm ohne praktischen Anwendungsbereich. Das schmerzt umso mehr, da es augenscheinlich gesellschaftlich relevante Sachverhalte entlang der Versorgungskette gibt, die einer gesetzlichen Lösung bedürfen.

Kritikwürdig ist dabei nicht, dass der Gesetzgeber den nachfragestarken Einzelhändlern keinen deutlichen Riegel bezüglich bestimmter Verhaltensweisen vorschiebt. Vielmehr ist es bedenklich, dass der Gesetzgeber nicht an einer wirksamen und tragfähigen Lösung interessiert zu sein scheint, mit welchem Inhalt auch immer. Man vermag daher Herrn Bender auch insoweit nicht zu widersprechen, wenn er konstatiert, dass das Kartellrecht im Zeitalter des Postfaktischen angekommen ist (Lebensmittelzeitung Nr. 40 vom 7. Oktober 2016, S. 2).


Dr. Kim Manuel Künstner berät Unternehmen in allen Bereichen des Kartellrechts.


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