Neue Serie: 9. GWB-Novelle und Verhandlungsmacht im LEH
Die Diskussionen um die kartellrechtliche Einhegung der Verhandlungsmacht der großen Lebensmitteleinzelhändler reißen nicht ab. Vielmehr werden sie durch fortschreitende Konzentration im LEH (Edeka-Tengelmann, Rewe-Coop) und „Milchkrise“ weiter befeuert. Das deutsche Kartellrecht sieht mit dem sog. Anzapfverbot (§ 20 Abs. 2 GWB) und dem Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis (§ 20 Abs. 3 GWB) zwei Tatbestände vor, welche in der Theorie die gröbsten Auswüchse ungleicher Machtpositionen entlang der Versorgungskette eingrenzen können. Obgleich beide Tatbestände in wechselnder Gestalt bereits seit vielen Jahren auf ihre erfolgreiche Anwendung warten, fristen sie bis heute ein Dasein als kartellrechtliche Mauerblümchen. Schlimmer noch, erscheint ihre Anwendung in der Praxis durch zwei vernichtende Urteile des OLG Düsseldorf praktisch ausgeschlossen.
Der Gesetzgeber steht daher im Rahmen der aktuellen Novellierung des GWB vor der Wahl, die bisherigen Konzepte aufzugeben oder diese durch Gesetzesänderungen endlich einer praktikablen Anwendung zuzuführen. Angesichts des politischen Drucks zur Herstellung fairer Rahmenbedingungen gerade für den Agrarsektor, haben sich die Verfasser des gegenwärtigen Referentenentwurfs zur 9. GWB-Novelle für letzteres entschieden. Dies war lange nicht abzusehen. Dementsprechend enthält der Entwurf derzeit nur Absichtserklärung dahingehend, sowohl Anzapfverbot als auch Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis zu verschärfen. Wie dies geschehen soll, bleibt einstweilen offen. Die Ministerien verhandeln derzeit über die Neufassung der Normen.
In den nächsten Wochen wird an dieser Stelle in einer losen Folge die bisherige Entwicklung des Anzapfverbots und des Verbots des Verkaufs unter Einstandspreis beleuchtet und dargestellt, warum sich diese Konzepte nicht bewährt haben und auch in Zukunft keine praktische Rolle spielen werden. Des Weiteren wird aufgezeigt werden, dass das Kartellrecht nicht geeignet ist, für eine „faire“ Verteilung der Gewinne entlang der Versorgungskette zu sorgen. Gleichzeitig soll dargestellt werden, inwiefern dies hinsichtlich der Stärkung der Position des Primärsektors (Agrarwirtschaft) anders ist und inwiefern das Kartellrecht seinen Beitrag zur Verbesserung der Verhandlungspositionen der Marktteilnehmern leisten kann.
Dr. Kim Manuel Künstner berät Unternehmen zu allen Fragen des Kartellrechts.