Im spanischen Lebensmittelkettengesetz gilt bereits seit mehreren Jahren ein Verbot des Einkaufs unter Produktionskosten. Dieses lautet übersetzt wie folgt:
„Um die Vernichtung von Werten in der Lebensmittelversorgungskette zu vermeiden, zahlt jeder Unternehmer in der Lebensmittelversorgungskette dem nächsthöheren Unternehmer einen Preis, der mindestens den tatsächlichen Produktionskosten des betreffenden Erzeugnisses entspricht, die diesem Unternehmer tatsächlich entstehen oder von ihm getragen werden.“
Durchsetzung des Verbots des Einkaufs unter Produktionskosten.
Die zuständige spanische Behörde nutzt ihre Befugnisse und beanstandete zuletzt beispielsweise, dass der führende spanische Lebensmitteleinzelhändler Mercadona von der Molkerei COVAP zwischen Januar und März 2021 ultrahocherhitzte Vollmilch zu einem Literpreis von EUR 0,493 bezog, was nach Ermittlungen der Behörde unterhalb der Produktionskosten von COVAP für dieses Produkt lag. Die Behörde belegte Mercadona in zwei Parallelfällen jeweils mit einem Bußgeld in Höhe von EUR 66.000.
Argumentation von Mercadona.
Hiergegen ging der Einzelhändler mit Rechtsmitteln vor dem Verwaltungsgericht Madrid vor. Mercadona argumentierte unter anderem, dass die Einkaufspreise mit COVAP bilateral ausverhandelt gewesen seien und Mercadona die Produktionskosten von COVAP gar nicht bekannt waren, so dass es bereits an einem Verschulden fehle. Zudem monierte Mercadona, dass selbst während der Verwaltungsverfahren, die am Ende zur Bebußung führten, kein Einblick in die Produktionskosten gewährt und diese als Geschäftsgeheimnisse gekennzeichnet worden seien.
Entscheidung des Gerichts.
Das Gericht folgte diesen und weiteren Argumenten von Mercadona nicht. Es stellte recht knapp fest, dass die gezahlten Preise laut der Verwaltungsakte unterhalb der Produktionskosten lagen und das Verbot des Einkaufs unter Produktionskosten nicht zur vertragsrechtlichen Disposition von Mercadona und COVAP stehen.
Hinsichtlich des Verschuldens von Mercadona verweist das Gericht recht knapp auf einen Sorgfaltspflichtenverstoß, wonach Mercadona zu erwarten gewesen wäre, in Kenntnis seiner Pflichten keine Preise zu verlangen, die unter den Produktionskosten liegen. Zudem sei es nicht notwendig, dass Mercadona zur Verteidigung im hiesigen Verfahren die konkreten Produktionskosten der COVAP erfahre, um sich zu verteidigen.
Bewertung und Ausblick.
Das Verfahren verdeutlicht die praktischen und rechtlichen Schwierigkeiten der Um- und Durchsetzung eines Verbots des Einkaufs unter Produktionskosten. Im Ausgangspunkt stellt sich schon die Frage, welche Produktionskosten zu berücksichtigen sind beziehungsweise in welcher Höhe. Das spanische Recht sieht hierzu gerade im Milchsektor konkrete Vorgaben vor, die jedoch bei weitem nicht alle Fragen abschließend beantworten.
Selbst wenn die Produktionskosten ermittelt werden können, haben Lieferanten häufig kein Interesse daran, den Käufern diese Kosten mitzuteilen, da sie im Falle einer „Open-Book“-Policy Gefahr laufen, von den Käufern diktiert zu bekommen, welcher Produktionsfaktor in welcher Höhe angesetzt werden darf. Zudem entfällt die Möglichkeit, Marge zu „verstecken“, wenn vom Käufer angenommene Kosten tatsächlich beim Lieferanten niedriger sind.
Die hier dargestellte Praxis in Spanien weist die Gefahrtragung zu niedriger Einkaufspreise vollständig dem Käufer zu. Selbst wenn der Lieferant sich in Vertragsverhandlungen mit dem Käufer über den Einkaufspreis einigt und der Lieferant eine vom gesetzlichen Leitbild abweichende Kostenkalkulation zugrunde legt, läuft der Käufer Gefahr, gegen das Verbot zu verstoßen. Faktisch muss der Käufer daher proaktiv daran mitarbeiten, dass der Lieferant selbst nicht unter den Produktionskosten im Sinne des Gesetzes verkauft. Das Gericht verweist insoweit nicht unzutreffend auf Sinn und Zweck des spanischen Verbots des Einkaufs unter Produktionskosten, das nicht den individuellen Lieferanten, sondern die Werterhaltung und faire Wertverteilung entlang der Wertschöpfung schützt.
Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Entscheidungslinien auch in höheren Instanzen durchsetzt und letztendlich vor dem EuGH verhandelt wird. Bis dahin werden viele interessierte Blicke weiter Richtung Spanien gehen, da Frankreich mit der Egalim-Gesetzgebung einen anderen restriktiven Ansatz wählt und auch Italien über die Einführung weiterer preisrelevanter Maßnahmen zugunsten der Erzeuger und Lieferanten nachdenkt. In Deutschland ist nichts dergleichen geplant, vielmehr wurde im Rahmen der Evaluierung des deutschen Lebensmittellieferkettengesetzes (AgrarOLkG) einem Verbot des Einkaufs unter Produktionskosten eine klare Absage erteilt.
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Dr. Kim Manuel Künstner hat als Sachverständiger im Bundestag und Gutachter des Landwirtschaftsministeriums NRW die Umsetzung der UTP-Richtlinie in das AgrarOLkG eng begleitet und berät Lieferanten und Käufer entlang der Lebensmittelwertschöpfungskette zu allen Fragen rund um unlautere Handelspraktiken und Lebensmittelkartellrecht. Aber machen Sie sich doch einfach selbst ein Bild:
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