Die Richtlinie gegen unlautere Handelspraktiken (UTP-Richtlinie) wird Käufern von Agrar- oder Lebensmittelerzeugnissen in Zukunft bestimmte Handelspraktiken wie etwa späte Bezahlung, einseitige Vertragsänderungen oder sonstige Risikoverlagerungen verbieten. Sie muss mit Ausnahme von Verbrauchern von allen Käufern entlang der Versorgungskette beachtet werden, mithin auch von Lebensmittelherstellern und Behörden, Großhändlern und Einzelhändlern und gilt bereits, wenn entweder Lieferant oder Käufer in der EU niedergelassen sind. Die Richtlinie muss bis spätestens 1. Mai 2021 in nationales Recht umgesetzt sein, und spätestens ab 1. November 2021 angewendet werden.

Aus Gründen der Compliance sollten in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallende Käufer von Agrar- oder Lebensmittelerzeugnissen ihre Liefervereinbarungen auf Vereinbarkeit mit der UTP-Richtlinie prüfen und gegebenenfalls anpassen. Dies gilt umso mehr, da es für die Anwendung der Verbote der UTP-Richtlinie teilweise auf das Vorliegen von unmissverständlichen schriftlichen Vereinbarungen ankommt. Aufgrund der globalen Reichweite der UTP-Richtlinie gilt dies nicht nur für Liefervereinbarungen innerhalb der EU, sondern auch für Bezüge von Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse außerhalb der EU oder Lieferungen aus der EU ins Ausland.

Im Folgenden fassen wir die Hintergründe und wesentlichen Punkte zum Anwendungsbereich der UTP-Richtlinie zusammen. Bei Rückfragen steht Ihnen unser Experte für den Lebensmittelsektor, Dr. Kim Manuel Künstner, jederzeit gerne zur Verfügung.

Hintergrund der UTP-Richtlinie.

Seit Jahrzehnten stehen die Handelspraktiken entlang der Lebensmittelversorgungskette in der Diskussion. Häufig geht es dabei um die Torwächterfunktion der großen Einzelhandelsketten, die erheblichen Druck auf Lebensmittelhersteller ausüben können und diesen Hebel teilweise noch über (europäische) Einkaufsgemeinschaften und Handelsallianzen verstärken.

Nicht zuletzt aufgrund von Bauernprotesten in Deutschland rückt aktuell aber auch das Problem der angemessenen Vergütung der Landwirte in den Fokus. Die Gewährleistung einer angemessenen Lebenshaltung, der in der Landwirtschaft tätigen Personen, insbesondere durch Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens, ist ein im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union verankertes Ziel der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und genießt nach Maßgabe des Art. 42 AEUV bisweilen auch gegenüber anderen Vorschriften wie den Wettbewerbsvorschriften nach Art. 101, 102 AEUV Vorrang.

Darauf aufbauend versucht die EU mit Hilfe der Richtlinie gegen unlautere Handelspraktiken (UTP-Richtlinie) verschiedenen strukturellen Nachteilen der Landwirte entgegenzuwirken. So unterliegen Landwirte aufgrund ihrer Abhängigkeit von biologischen Prozessen und der Witterung besonderer Unsicherheiten. Zugleich verfügen Landwirte – auch im Rahmen von Erzeugerorganisationen – regelmäßig über weniger Verhandlungsmacht gegenüber den weiteren Akteuren entlang der Versorgungskette. Folglich werden ihnen mitunter auch die Risiken der Nichtweiterverkäuflichkeit ihrer verderblichen Waren aufgebürdet. Die UTP-Richtlinie zielt darauf ab, den Lebensstandard der landwirtschaftlichen Bevölkerung zu verbessern, indem solche Handelspraktiken eingeschränkt werden, die auf diese strukturellen Nachteile zurückzuführen sind.

Welche Handelspraktiken verbietet die UTP-Richtlinie in jedem Fall?

Die Richtlinie enthält zehn „schwarze Klauseln“, die im Anwendungsbereich der UTP-Richtlinie stets als unlauter gelten:

  1. Zahlungen des Käufers später als 30 Tage für verderbliche Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse
  2. Zahlungen des Käufers später als 60 Tage für andere Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse
  3. Kurzfristige Stornierung der Lieferungen von verderblichen Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen
  4. Einseitige Vertragsänderungen durch den Käufer
  5. Käufer verlangt vom Lieferanten Zahlungen, die nicht im Zusammenhang mit dem Verkauf von Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen des Lieferanten stehen
  6. Risiko von Verlust und Verschlechterung der Waren wird auf den Lieferanten übertragen
  7. Verweigerung einer schriftlichen Bestätigung einer Liefervereinbarung durch den Käufer, trotz Aufforderung durch den Lieferanten
  8. Missbrauch von Geschäftsgeheimnissen durch den Käufer
  9. Kommerzielle Vergeltungsmaßnahmen durch den Käufer
  10. Übertragung der Kosten für die Prüfung von Kundenbeschwerden an den Lieferanten

Welche Handelspraktiken verbietet die UTP-Richtlinie, wenn eine klare vertragliche Regelung fehlt?

Weitere sechs Handelspraktiken werden nicht generell als unlauter bewertet, sondern nur dann, wenn diese nicht „zuvor klar und eindeutig“ in der Liefervereinbarung oder einer Folgevereinbarung vereinbart wurden.

  1. Rückgabe von nicht verkauften Produkten
  2. Zahlung des Lieferanten dafür, dass seine Produkte gelagert, zum Verkauf angeboten, gelistet oder breitgestellt werden
  3. Zahlungen des Lieferanten für Preisnachlässe des Käufers
  4. Zahlungen des Lieferanten für Werbung des Käufers
  5. Zahlungen des Lieferanten für die Vermarktung durch den Käufers
  6. Bezahlung des Lieferanten für das Personal des Käufers, das die Verkaufsräumlichkeiten einrichtet

Die Voraussetzung einer „klar und eindeutigen“ Vereinbarung wird regelmäßig nur durch eine schriftliche Vereinbarung erreicht werden können. Auslegungszweifel dürften zulasten des Käufers gehen.

Welche Waren schützt UTP?

Geschützt sind Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse, d.h. alle Erzeugnisse im Sinne des Anhang I des AEUV, sowie alle aus diesen Erzeugnissen zur Verwendung als Lebensmittel hergestellten Waren. Auch wenn die UTP-Richtlinie nicht direkt Bezug auf die Lebensmittelbasisverordnung nimmt, dürften die positive und negative Definition von Lebensmittel in Art. 2 VO (EU) 178/2002 maßgeblich sein.

Demnach handelt es sich bei Lebensmitteln um alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. Zu „Lebensmitteln“ zählen auch Getränke, Kaugummi sowie alle Stoffe — einschließlich Wasser —, die dem Lebensmittel bei seiner Herstellung oder Ver- oder Bearbeitung absichtlich zugesetzt werden.

Nicht erfasst sind dagegen insbesondere Futtermittel, Arzneimittel, Kosmetika und Tabak.

Wen schützt UTP? Wer muss UTP beachten?

Die UTP-Richtlinie erfasst alle Lieferanten und Käufer entlang der Lebensmittelkette, mit Ausnahme der Verbraucher. Das Verbot der unlauteren Handelspraktiken gilt daher sowohl im Verhältnis von Landwirten zu Genossenschaften, im Verhältnis von Händlern zu verarbeitenden Industrie und im Verhältnis zwischen Industrie und Einzelhandel.

Ob eine unlautere Handelspraktik von der UTP-Richtlinie erfasst wird, hängt vom Verhältnis des Jahresumsatzes des Lieferanten im Verhältnis zum Käufer ab. Der Richtliniengeber hat hierfür abgestufte Umsatzschwellen entwickelt. Bei den folgenden Umsatzverhältnissen zwischen Lieferant und Käufer ist die UTP-Richtlinie daher anwendbar:

  • Lieferant ≤ EUR 2 Mio. und Käufer > EUR 2 Mio.
  • Lieferant > 2 Mio. aber ≤ EUR 10 Mio. und Käufer > EUR 10 Mio.
  • Lieferant > 10 Mio. aber ≤ EUR 50 Mio. und Käufer > EUR 50 Mio.
  • Lieferant > 50 Mio. aber ≤ EUR 150 Mio. und Käufer > EUR 150 Mio.
  • Lieferant > 150 Mio. aber ≤ EUR 350 Mio. und Käufer > EUR 350 Mio.

Handelt es sich beim Käufer um eine Behörde, findet auf diese gegenüber Lieferanten mit einem Jahresumsatz bis höchstens EUR 350 Mio. ebenfalls die UTP-Richtlinie Anwendung.

Für die Berechnung der Jahresumsätze bei Konzernzugehörigkeit, verweist der Richtliniengeber auf die Empfehlung der Kommission zur Definition von KMU, d.h. es kommt auch auf verbundene Unternehmen etc. an.

Erfasst UTP auch Geschäfte außerhalb der EU?

Ausreichend ist es, wenn entweder der Lieferant oder der Käufer in der EU ansässig ist. Die UTP-Richtlinie findet daher auch dann Anwendung, wenn beispielsweise ein in Deutschland ansässiger Käufer von einem Lieferanten aus Südamerika bezieht. Hiermit soll eine Umgehung des Schutzes der Landwirte in der EU durch Ausweichen auf Lieferanten außerhalb der EU vermieden werden.

Umgekehrt gelten die Regelungen der UTP-Richtlinie beispielsweise auch, wenn ein US-amerikanisches Unternehmen Agrar- oder Lebensmittelerzeugnisse aus der EU erwirbt.

Können die Mitgliedstaaten strengere Regeln erlassen?

Ja, die UTP-Richtlinie ist lediglich eine Mindestharmonisierung. Die Mitgliedstaaten können daher darüber hinausgehen, bzw. bereits bestehende strengere Regeln beibehalten. Es ist daher mit einem regelungstechnischen Flickenteppich in der EU zu rechnen.

Anknüpfungspunkte für eine überschießende Umsetzung der Richtlinien sind insbesondere die Erweiterung des persönlichen Schutzbereichs durch Einbeziehung von Lieferanten mit noch höheren Jahresumsätzen und die Verkürzung der Stornierungsfrist für verderbliche Waren auch unterhalb von 30 Tagen.

Ab wann gelten die Verbote der UTP-Richtlinie?

Liefervereinbarungen, die nach dem 1. November 2021 geschlossen werden, müssen bereits in Einklang mit der Richtlinie bzw. den nationalen Umsetzungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten stehen.

Liefervereinbarungen, die vor dem 1. Mai 2021 geschlossen wurden, müssen innerhalb von 12 Monaten, d.h. bis zum 1. Mai 2022 in Einklang mit der Richtlinie gebracht werden.


Dr. Kim Manuel Künstner berät Lebensmittelhersteller zu allen Fragen des Kartellrechts einschließlich der Vereinbarungen mit Lieferanten und dem Handel und im Rahmen des Transaktionsgeschäfts.


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