Das Bundeskabinett hat den Entwurf der Bundeslandwirtschaftsministerin für eine Erweiterung des Agrarmarktstrukturgesetzes zum Agrarmarktorganisations- und Lieferkettengesetzes gebilligt. Das Gesetz setzt insbesondere die EU-Richtlinie gegen unlautere Handelspraktiken entlang der Lebensmittelwertschöpfungskette (UTP-Richtlinie) in nationales Recht um. Unsere Erstbewertung zeigt, dass im Laufe des Gesetzgebungsprozesses in Bundestag und Bundesrat noch viele offene Fragen adressiert werden müssen.

Leicht überschießende Umsetzung der UTP-Richtlinie.

Das jetzt im Bundeskabinett beschlossene Gesetz dient in erster Linie der Umsetzung der UTP-Richtlinie. Diese stellt jedoch lediglich eine Mindestharmonisierung dar, so dass die Mitgliedstaaten auch deutlich darüber hinausgehen können. Eine Übersicht zu den Inhalten und Verboten der UTP-Richtlinie gibt es hier.

War im ersten Entwurf des deutschen Umsetzungsgesetzes lediglich eine 1:1-Umsetzung vorgesehen, sieht der verabschiedete Entwurf eine leicht überschießende Umsetzung der Richtlinie vor. Demnach sind auch die bislang „grauen“ Handelspraktiken in Form der Nichtbezahlung von Waren, die der Käufer nicht absetzen konnte sowie der Auferlegung der Kosten für die Rücksendung oder Beseitigung dieser Waren gegenüber dem Lieferanten generell verboten und selbst dann nicht erlaubt, wenn die Parteien damit ausdrücklich einverstanden sind.

Goliath: der LEH im Visier der Regeln gegen unlautere Handelspraktiken.

Bereits zu beginn ihrer Pressekonferenz machte die Ministerin Klöckner deutlich, gegen wen sich das neue Gesetz aus ihrer Sicht in erster Linie richtet: die vier großen LEH (EDEKA, Rewe, Schwarz-Gruppe (Kaufland, Lidl) und Aldi) in Deutschland, die einen gemeinsamen Marktanteil von 85 % aufweisen.

Die Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner konnte sich dann auch einen Seitenhieb in Richtung der laufenden Übernahmeversuche verschiedener real-Standorte durch EDEKA und Kaufland nicht verkneifen, ohne dass sie konkrete Namen nannte. Das Bundeskartellamt jedenfalls hat bereits Bedenken gegen die Übernahme der Wunschstandorte durch Kaufland erkennen lassen, so dass derzeit in Bonn über Zusagen verhandelt wird, die eine Freigabe des Zusammenschlusses ermöglichen könnten.

Dabei darf nicht verkannt werden, dass sich die Regeln gegen unlautere Handelspraktiken nicht nur an große LEH richtet, sondern alle Käufer entlang der Lebensmittelwertschöpfungskette betrifft, das heißt insbesondere auch Lebensmittelhersteller.

Ob die neuen Regeln zudem den Davids aus der Landwirtschaft wirklich eine taugliche Zwille gegen die Goliaths des Einzelhandels bieten oder die tatsächlichen Marktmachtverhältnisse dies nicht auf anderen Wegen verhindern, bleibt abzuwarten. Eine Lösung der „Ross-und-Reiter“-Problematik, das heißt des Abstandnehmens von rechtlichen Maßnahmen gegenüber nachfragestarken Käufern in der Kette aus Angst vor legalen Vergeltungsmaßnahmen, ist zudem bislang nicht ersichtlich.

Zuständige Behörde.

Die Zuständigkeit für die Durchsetzung der Regeln gegen unlautere Handelspraktiken soll bei einer Unterabteilung der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung („BLE“) liegen. Die Zuständigkeit der Bonner Behörde wird auch damit begründet, dass sie den landwirtschaftlichen Sektor gut kenne.

Dabei ist zu beachten, dass die Regeln über unlautere Handelspraktiken auf sämtliche Lieferanten und Käufer entlang der Lebensmittelwertschöpfungskette Anwendung findet. Des Weiteren finden die Regeln auch Anwendung, wenn der Käufer zwar in Deutschland sitzt, der Lieferant jedoch außerhalb der EU. Die Begründung der Ministerin für die Zuständigkeit der BLE verfängt daher nur teilweise.

Bußgeldhöhe.

Bußgelder für unlautere Handelspraktiken sollen bis zu EUR 500.000 betragen. Dies ist eine für die Normadressaten deutlich günstigere Gestaltung gegenüber dem Bußgeldoberrahmen in Höhe von bis zu 10 % des weltweiten Jahreskonzernumsatzes im Anwendungsbereich des Kartellrechts.

Fordert ein großes Einzelhandelsunternehmen daher von einem Lieferanten eine Leistung ohne eine angemessene Gegenleistung anzubieten, kann dies ein Verstoß gegen das kartellrechtliche Anzapfverbot darstellen, so dass ein Bußgeld in Millionenhöhe droht. Verändert ein Einzelhandelsunternehmen einseitig einen Vertrag mit einem von den Regeln gegen unlautere Handelspraktiken geschützten Unternehmen, droht ein Bußgeld von bis zu EUR 500.000. Die Wertungswidersprüche sind offenkundig.

Verhältnis zum Kartellrecht.

Der Blick auf die Bußgeldhöhen zeigt bereits die potentiellen Überschneidungen von Kartellrecht und unlauteren Handelspraktiken. Diese Überschneidungen werden weiter zunehmen, wenn mit der 10. GWB-Novelle das Verbot der missbräuchlichen Ausnutzung relativer Marktmacht nicht mehr nur gegenüber kleineren und mittleren Unternehmen („KMU“) gilt, sondern gegenüber allen abhängigen Unternehmen ohne hinreichende Ausweichmöglichkeiten.

Es sind daher sowohl hinsichtlich der Untersuchungen durch die BLE als auch hinsichtlich der auszusprechenden Bußgelder Abstimmungen mit dem Bundeskartellamt vorgesehen. Es steht zu erwarten, dass bei als sehr intensiv empfundenen Verstößen das Bundeskartellamt übernehmen und Verbotstatbestände und Bußgeldrahmen des GWB anwenden wird.

Des Weiteren soll das OLG Düsseldorf für Rechtsmittel gegen Entscheidungen der BLE zuständig sein wie dies bereits für das Bundeskartellamt der Fall ist.

Wie geht es weiter?

Es ist davon auszugehen, dass in Bundestag und Bundesrat Vorschläge zur Erweiterung der verbotenen unlauteren Handelspraktiken eingebracht werden. Viel Luft „nach unten“, das heißt in Richtung Mindestharmonisierung, lässt der aktuelle Entwurf jedenfalls nicht.


Dr. Kim Manuel Künstner berät Lebensmittelhersteller zu allen Fragen des Kartellrechts einschließlich der Vereinbarungen mit Lieferanten und dem Handel und im Rahmen des Transaktionsgeschäfts.


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