Unternehmen kennen Krisenzeiten auch außerhalb der aktuellen Corona-Pandemie. Die eigenverantwortliche Sanierung hat sich dabei als wirksames Instrument etabliert, um solche Unternehmenskrisen zu überwinden und die Einleitung eines Regelinsolvenzverfahrens zu vermeiden. Unser Kartellrechtspartner Dr. Kim Manuel Künstner und der Insolvenzrechtsexperte Matthias Krämer haben sich über die Vorteile der eigenverantwortlichen Sanierung, ihre Rolle in der aktuellen Corona-Pandemie und ihre Anwendung in internationalen Sachverhalten unterhalten.


Dr. Kim Manuel Künstner: Was unterscheidet die Eigenverwaltung von sonstigen Insolvenzverfahren?

Matthias Krämer: Der wesentliche Unterschied zwischen der Eigenverwaltung und dem Regelinsolvenzverfahren liegt darin, dass bei der Eigenverwaltung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die zur späteren Insolvenzmasse gehörenden Gegenständen unverändert bei der Geschäftsführung des Unternehmens liegt und nach außen hin nach wie vor die selben Ansprechpartner gegenüber Kunden, Lieferanten, Behörden, Mitarbeitern, Banken, etc. auftreten. Statt eines Insolvenzverwalters im Regelinsolvenzverfahren wird die Geschäftsführung in der Eigenverwaltung durch einen vom Gericht bestellten Sachwalter kontrolliert, der im wesentlichen lediglich eine Überwachungsfunktion ausübt, ohne in das operative Geschäft einzugreifen. Der Aufgabenkreis des Sachwalters im Eigenverwaltungsverfahren ist somit durch die Vorgaben der Insolvenzordnung gegenüber dem eines Insolvenzverwalters im Regelinsolvenzverfahren deutlich reduziert.

Ziel der Eigenverwaltung ist die unveränderte Fortführung des Geschäftsbetriebs mit den bisherigen Akteuren, ergänzt und unterstützt durch einen sanierungserfahrenen CRO (Chief Restructuring Officer). Dadurch, dass die Verfügungsbefugnis der Geschäftsführung bei der Eigenverwaltung nicht eingeschränkt ist und „alles beim Alten“ bleibt, wird die Fortführung des Geschäftsbetriebs erleichtert, da einem Insolvenzverwalter im Regelinsolvenzverfahren regelmäßig die Branchenexpertise des jeweiligen Unternehmens fehlt.

Dr. Kim Manuel Künstner: Kann man sagen, dass der Eigenverwaltung das Stigma der anderen Insolvenzverfahren fehlt?

Matthias Krämer: Man darf nicht übersehen, dass die Eigenverwaltung aufgrund der systematischen Einordnung und Ausgestaltung in der Insolvenzordnung eine besondere Verfahrensart eines Insolvenzverfahrens darstellt. Allerdings lässt sich hier durch geschickte Kommunikation und Berichterstattung das böse „I-Wort“ regelmäßig vermeiden. Durch das Gesetz zur Erleichterung von Unternehmenssanierungen (ESUG) hat die Eigenverwaltung eine deutliche Aufwertung erhalten und erfreut sich zunehmender Beliebtheit, da die Geschäftsführung nach wie vor „Herr des Verfahrens“ ist und zugleich von dem Instrumentarium der §§ 103 ff. InsO, welches die erleichterte Lösung von unwirtschaftlichen Verträgen regelt, Gebrauch machen können. Heutzutage wird fast jedes größere Verfahren in Eigenverwaltung eröffnet.

Die Eigenverwaltung dient dem vorrangigen Ziel der Sanierung und dem Erhalt des Unternehmens, d.h. der Entschuldung des Rechtsträgers, und nicht – wie im Regelinsolvenzverfahren – der Zerschlagung des Unternehmens und der anschließenden Liquidierung des Rechtsträgers. Das bedeutet allerdings nicht, dass es im Rahmen der Sanierung des Unternehmens über einen Sanierungsplan nicht auch zum Verkauf einzelner Teile des Unternehmens oder einzelner Produktbereiche kommen kann, die sich im Lauf der vorläufigen Eigenverwaltung als wirtschaftlich untragbar herausgestellt haben. Diese Sanierungsmaßnahme wird dann unumgänglich sein, um im Rahmen der Fortführung des Unternehmens eine wirtschaftlich nachhaltige Ertrags- und Ergebnislage für das betroffene Unternehmen zu erreichen.

Dr. Kim Manuel Künstner: Welche Chancen bietet die Eigenverwaltung in Krisensituationen wie beispielsweise im aktuellen Fall des Coronavirus?

Matthias Krämer: Im Fall des Coronavirus, dessen Auswirkungen noch nicht absehbar sind, haben wir (wie 2008 bei der Finanz- und Wirtschaftskrise) eine branchenübergreifende Krisensituation, die sich durch alle Bereiche der Wirtschaft hindurch zieht. Größere Unternehmen und Unternehmensgruppen sind genauso betroffen wie der Mittelstand und kleinere Unternehmen. Die Regel, dass größere Unternehmen diese Krisen besser verkraften als kleinere stimmt längst nicht mehr. Allein durch die zu erwartenden Unterbrechung der Lieferkette (und zwar sowohl in Richtung Kunde als auch in Richtung Lieferanten) sowie der daraus resultierenden Folgen für die betroffenen Unternehmen, steht eine Krise ungewissen Ausmaßes bevor. Dadurch, dass sämtliche Wirtschaftsbereiche betroffen sind, kann auch die Eigenverwaltung, deren Ziel die Fortführung und Sanierung des Unternehmens und dem Erhalt des Rechtsträgers dient, nicht als Allheilmittel gesehen werden. Insbesondere wenn durch die Unterbrechung von Lieferketten, krankheitsbedingtem Personalausfall etc. die Fortführung des Geschäftsbetriebs eines Unternehmens fraglich oder gefährdet ist, kann sich die Eigenverwaltung diesem Zustand nicht entziehen und darüber hinwegsetzen. Der Vorteil der Eigenverwaltung, nämlich die Entlastung der Passivseite der Bilanz eines Unternehmens, u.a. durch die Nutzung der Regelungen in §§ 103 ff. InsO, kann hier nicht den gewünschten Beitrag leisten, wenn die betroffenen Unternehmen aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen betroffen sind und eine Betriebsfortführung nur – wenn überhaupt – eingeschränkt möglich ist. Wir sehen aktuell in vielen Fällen laufender Eigenverwaltungs- und Regelinsolvenzverfahren, dass beispielsweise Investorenprozesse auf Eis gelegt werden, was insbesondere bei Produktionsbetrieben mit dünner Kapitaldecke katastrophale Folgen haben kann. Die Regierung überlegt gegenwärtig, die Insolvenzantragspflichten für Unternehmen zu lockern oder auszusetzen. Im Rahmen der Finanz- und Wirtschaftskrise haben wir seinerzeit eine vergleichbare Situation erlebt. Damals wurde der Überschuldungsbegriff durch den Zusatz der positiven Fortführungsprognose eingeschränkt, damit nicht alle Unternehmen zum Insolvenzgericht gehen mussten.

Dr. Kim Manuel Künstner: Wann sollten Unternehmen eine Eigenverwaltung in Erwägung ziehen?

Matthias Krämer: Eine erfolgreiche Eigenverwaltung lebt von ihrer Vorbereitung. Je früher man damit beginnt, um besser sind die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Eigenverwaltung und je größer ist der Strauß an Gestaltungsmöglichkeiten. Wichtig ist – und das ist ebenso ein Unterschied zum Regelinsolvenzverfahren – frühzeitig alle beteiligten Stakeholder einzubeziehen, das sind im Wesentlichen die finanzierenden Banken (von denen in aller Regel während des vorläufigen Verfahrens ein unechter Massekredit benötigt wird), die Warenkreditversicherer, die Lieferanten, die Kunden und – last but not least – die Mitarbeiter und die Mitarbeitervertretungen mit ins Boot zu holen. Bei sich abzeichnenden Krisen (Nichteinhaltung von Zahlungszielen, Umstellen auf Vorkasse, Einführung von Factoring, Kreditwürdigkeit nicht mehr gegeben, um nur einige Beispiele zu nennen) lohnt es sich, sofort rechtlichen Rat einzuholen. Wir erleben es in der Praxis leider viel zu häufig, dass Unternehmen zu spät auf solche Krisenfaktoren reagieren, was – je nach Fallkonstellation – dazu führen kann, dass für eine Eigenverwaltung kein Raum mehr ist. Hier können Restrukturierungsberater, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer wichtige Impulsgeber sein, da diese meist früher eingeschaltet werden.

Dr. Kim Manuel Künstner: Welchen Mehrwert bietet die Eigenverwaltung bei wirtschaftlichen Krisen mit Auslandsbezug?

Matthias Krämer: Der Vorteil bei solchen Konzerninsolvenzen mit Auslandsbezug liegt darin, dass man in allen Verfahren aufgrund der Personenidentität in den Gremien die selben Ansprechpartner hat. So wird es zumeist darauf hinauslaufen, dass der Sachwalter und der CRO in allen Verfahren personenidentisch sind, was die Verfahrensabwicklung erheblich erleichtert und vereinfacht, und die (vorläufigen) Gläubigerausschüsse können die Sitzungen in den jeweiligen Verfahren als gemeinsame Sitzungen durchführen, so dass alle auf dem gleichen Informationsstand sind. Diese Konstellation erleichtert auch die Kommunikation mit dem Gericht im Hinblick auf die Berichterstattung. Die Möglichkeit, hiervon Gebrauch zu machen, wurde durch die Europäische Insolvenzverordnung (EUInsVO) geschaffen.


Über Matthias Krämer.

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Sanierungsexperte Matthias Krämer ist Rechtsanwalt bei der Sozietät Wellensiek in Frankfurt. Der sanierungserfahrene Rechtsanwalt verfügt über eine langjährige Erfahrung in der Bewältigung von Krisen national und international tätiger Unternehmen und Unternehmensgruppen und ist selbst operativ in Organverantwortung, zuletzt bei einem Maschinenbaukonzern mit rund 1.000 Beschäftigten im In- und Ausland und einem Umsatzvolumen von rund EUR 70 Mio., tätig. Seine Kernkompetenz liegt in der Sanierungs- und Restrukturierungsberatung. Weitere Schwerpunkte sind die Beratung der Organe von Gesellschaften und Treuhandlösungen für mittelständische und große Unternehmen und Unternehmensgruppen.


Über den Autor.

Dr. Kim Manuel Künstner berät Unternehmen in allen Fragen des Kartellrechts.