Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte kürzlich in einem bulgarischen Fall über ein „klassisches“ Streitthema im Vergaberecht zu entscheiden: den Zusatz „oder gleichwertig“ bei der Beschreibung der technischen Spezifika des Angebots (Urt. v. 24. Oktober 2024, C-513/23 Obshtina Pleven). Das Urteil hat weitreichende Bedeutung für die Vergabepraxis in der EU, einschließlich Deutschland.

Ausgangspunkt: Angebotsoffenheit und Produktneutralität

Das Vergaberecht soll den Wettbewerb um öffentliche Aufträge weiten. Eines der zentralen Dokumente der Vergabeunterlagen (§ 121 Abs. 3 GWB) ist die Leistungsbeschreibung, die nach § 121 Abs. 1 S. 1 GWB so eindeutig und erschöpfend wie möglich beschreiben soll, was sich der öffentliche Auftraggeber vorstellt, sodass die Beschreibung für alle Unternehmen im gleichen Sinn verständlich ist und die Angebote untereinander verglichen werden können. Näheres legt § 31 VgV fest, auch die Rangfolge bestimmter Spezifikationen in Abs. 2.

Ein absoluter „Klassiker“ des Vergaberechts ist daher die Frage, inwieweit sich ein öffentlicher Auftraggeber an eine Spezifität des Angebotsgegenstands anlehnen darf. Dies würde oftmals den Bestandslieferanten begünstigen und den gewünschten Wettbewerb ungewollt einengen oder ausschließen.

Der Fall Pleven: Hintergrund und Entscheidung des EuGH

Das Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Pleven in Bulgarien betraf eine Ausschreibung von baulichen Maßnahmen der Gemeinde Pleven im Regionalentwicklungsprogramm, die auf der Grundlage eines Verwaltungsvertrags mit dem Ministerium für Regionalentwicklung und öffentliches Arbeiten Bulgariens ausgeschrieben wurden. Der Verwaltungsleiter des Operationellen Programms im Ministerium nahm danach eine Berichtigung vor und kürzte die förderfähigen Ausgaben um 25%, da er eine Verletzung von Art. 48 Abs. 2 des bulgarischen Gesetzes über öffentliche Auftragsvergabe sah, der wiederum Art 42 der Vergaberichtlinie 2014/24 umsetzt. Danach müsse jede technische Spezifikation eines öffentlichen Auftrags, die auf eine Norm Bezug nimmt, mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ versehen werden. In Deutschland wird Vergleichbares in § 31 Abs. 2 S 1 lit. a) und S. 2 VgV festgelegt (entspr. in §28 Abs. 2 S. 2 SektVO, § 15 Abs. 3 S. 2 KonzV, § 15 Abs. 3 S. 1 Ziff. 1 VSVgV). Hintergrund der Kürzung ist, dass die Maßnahme mit Mitteln aus dem EU-Haushalt gefördert wurde und unionsrechtskonform zu vergeben sei.

„Oder gleichwertig“: EuGH bestätigt Pflicht zur Förderung von Wettbewerb und Vielfalt

Gegen die Kürzung erhob die Gemeinde Pleven Klage vor dem Verwaltungsgericht und führte aus, dass zwar ein Zusatz „oder gleichwertig“ in der fraglichen Leistungsbeschreibung nicht enthalten sei. Derlei Bauprodukte seien aber in einer nationalen Bauprodukteregelung reguliert, die ihrerseits der VO 305/2011 entsprechen. Es handle sich damit um „harmonisierte“ Normen und daher gebe es – sowieso – keine Normen, die „gleichwertig“ sein könnten. Das Gericht setzte daher das Verfahren zur Klärung der Auslegung des unionsrechtlichen Art. 42 RL 2014/24 aus und legte die Frage dem EuGH vor. 

Der EuGH ließ die Einwände der Gemeinde Pleven nicht gelten und entschied, dass Art. 42 Abs. 3 lit. b RL 2014/24 bestimmt, dass die technischen Spezifikationen unter Bezugnahme auf u.a. nationale Normen, mit denen europäische Normen umgesetzt werden, Internationale Normen oder nationale Normen zu formulieren sind. Daneben ist „jede Bezugnahme“ mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ zu versehen. Der Wortlaut fordert also bereits die Verwendung des Zusatzes. Eine Ausnahme für harmonisierte Normen gebe es nicht (Tz. 32). Nationale Normen, die diesen Zusatz fordern, sind daher nicht unionsrechtswidrig. Der EuGH hob hervor, dass nach dem Ziel der Vergaberechtsrichtlinie (Erwägungsgrund 74) die von öffentlichen Beschaffern erstellten technischen Spezifikationen erlauben müssen, das öffentliche Auftragswesen für den Wettbewerb zu öffnen; es sollten sich insbesondere die Diversität der technischen Lösungen auf dem Markt widerspiegeln (Tz. 36). Die Forderung ist damit nicht wettbewerbseinschränkend, da ein Bieter nach Art. 42 Abs. 5 der RL 2014/24 nachweisen kann, dass sein Angebot mit der vorgeschlagenen Lösung den Anforderungen der technischen Spezifikation gleichermaßen entspricht, selbst wenn es der Spezifikation selbst (der Norm) nicht entsprechen sollte (Tz. 35).

Hinweise und praktische Auswirkungen: Bedeutung für die Vergabepraxis in Deutschland

Die Frage betraf einen bulgarischen Fall, jedoch sind die Regelungen in Deutschland vergleichbar (s.o., u.a. § 31 Abs. 2 S. 1 lit. a, S. 2 VgV). Die Feststellungen sind daher auch für Fälle in Deutschland erheblich.

Achtung: Die Entscheidung bezieht sich auf technische Spezifikationen nach Abs. 2; das Erfordernis eines solchen Zusatzes findet sich aber auch in § 31 Abs. 6. Dieser verbietet, dass sich die Leistungsbeschreibung auf eine bestimmte Produktion, eine Herkunft, besondere Verfahren oder gewerbliche Schutzrechte, Typen oder einen bestimmten Ursprung bezieht. Solche Verweise schränken den Bieterkreis ein, was dem Zweck des Vergaberechts grundsätzlich widerläufig wäre.

Kein Grundsatz ohne Ausnahme, hier sind es zwei: Erstens kann der Verweis auf Produktspezifika vom Auftragsgegenstand her geboten sein. Zweitens ist er gerechtfertigt, wenn ansonsten der Auftragsgegenstand nicht hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben werde könne. Nur in diesen beiden Fällen können auch bestimmte Produkte (Leitprodukte) genannt werden; dann aber muss der Zusatz „oder gleichwertig“ hinzugesetzt werden, § 31 Abs. 6 S. 2 VgV. Diese beiden Aspekte waren nicht Entscheidungsgegenstand. Für das andere Erfordernis, den Bezug auf technische Spezifikationen, hat der EuGH damit aber auch für Deutschland abschließend eine Klärung geschaffen.


Christoph Just LL.M. ist Partner unserer Sozietät in Frankfurt am Main und Fachanwalt für Steuer- und Verwaltungsrecht. Seine Praxis fokussiert sich auf Prozessführung (staatliche und Schiedsgerichtsbarkeit) wie auch auf regulatory (Umwelt, Energie, Vergabe).