Hintergrund.
Nicht zuletzt seit dem Paukenschlag, für den der EuGH mit seinem Urteil zur verpflichtenden Arbeitszeiterfassung vom 14.05.2019 gesorgt hat (C-55/18) stellen sich immer mehr komplexe Frage zum Umgang mit dem Thema Arbeitszeiterfassung.
Drehten sich die ersten Urteile der Instanzgerichte vor allen Dingen um die Frage, ob das EuGH-Urteil Einfluss auf die bis dahin althergebrachten Grundsätze der Darlegungs- und Beweislast im Individualprozess um Überstundenvergütung haben könnte (vgl. nur LAG Niedersachsen, Urteil vom 06.05.2021 – 5 Sa 1292/20, Rev. eingelegt, unter 5 AZR 3359/21), geht es nun auch im kollektiven Bereich weiter.
Zweifelsohne unterliegt eine elektronische Zeiterfassung dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG.
Was aber ist, wenn der Arbeitgeber gar nicht beabsichtigt eine solche einzuführen? Kann der Betriebsrat dann die Initiative für eine elektronische Zeiterfassung ergreifen und in welcher Form?
Diese Frage beschäftigte kürzlich das LAG Hamm (Beschluss vom 27.07.2021 – 7 TaBV 79/20). In der Sache ging es darum, dass Arbeitgeber und Betriebsrat sich nicht auf die Inhalte einer Betriebsvereinbarung zur elektronischen Zeiterfassung verständigen konnten. Daraufhin verwarf der Arbeitgeber das gesamte Vorhaben und brach alle Verhandlungen ab.
Dies wollte der Betriebsrat wiederum nicht auf sich sitzen lassen und ließ gerichtlich eine Einigungsstelle zu dem Thema gem. § 100 ArbGG einrichten. Nachdem der Arbeitgeber dieser die Zuständigkeit absprach unter Hinweis auf ein älteres Urteil des BAG (BAG, 28.11.1989 – 1 ABR 97/88), in dem ein Initiativrecht im Rahmen des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG verneint wurde, setzte die Einigungsstelle das Verfahren aus und beschloss, dass die Zuständigkeit im Rahmen eines gesonderten arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens geprüft werden sollte.
Ein solches Beschlussverfahren leitete der Betriebsrat dann auch ein. Das in der 1. Instanz zuständige ArbG Minden (Beschluss vom 15.09.2020 – 2 BV 8/20) hatte den Antrag noch abgewiesen ebenfalls unter Bezugnahme auf das BAG-Urteil aus dem Jahr 1989.
Die Entscheidung.
Anders nun das LAG Hamm:
Es gab dem Antrag des Betriebsrats statt und stellte fest, dass der Betriebsrat hinsichtlich der initiativen Einführung einer elektronischen Zeiterfassung ein Mitbestimmungsrecht gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat.
Auf das EuGH-Urteil stellte es dabei aber gar nicht ab.
Entscheidend sei, dass der Betriebsrat nicht nur ein reines Veto-Recht habe, sondern dass dem Gremium im Sinne eines Mitgestaltungsrechts die Initiative zukommen müsse, in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten Verhandlungen aufzunehmen und zu verlangen. Diese Grundsätze zur Annahme eines Initiativrechtes seien - das zeigten spätere Entscheidungen (etwa BAG, 27.01.2004 – 1 ABR 7/03) - auch “auf die Mitbestimmung bei der Einführung einer technischen Kontrolleinrichtung i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG übertragbar.
Auf die Entscheidung des BAG aus 1989 könne nicht zurückgegriffen werden. Es sei zudem der Wille des historischen Gesetzgebers des BetrVG 1972 zu unterscheiden zwischen einzelnen MBR wie zum Beispiel bei § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG, die so formuliert sind, dass dort lediglich Form oder Ausgestaltung mitbestimmungspflichtig seien und solchen, bei denen sich keine Einschränkungen aus dem Wortlaut ergäben.
Da der Beschluss eine ausdrückliche Abweichung von dem BAG Beschluss aus 1989 beinhaltete, ließ das LAG Hamm die Revision zu, die auch bereits eingelegt wurde und unter dem Aktenzeichen 1 ABR 22/21 geführt wird.
Ausblick.
Man wird sehen, ob das BAG an seiner Rechtsprechung aus 1989, die sich im Wesentlichen darauf stützte, dass das MBR gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG Abwehrfunktion habe und es diesem Zweck widerspräche, wenn der Betriebsrat selbst die Einführung verlangen kann, festhalten wird.
Bis zu einer Entscheidung dürfte der Ausgang dieser Fragestellung als recht „offen“ anzusehen sein. Gespannt darf man auch sein, ob das BAG sich zu der Frage äußern wird, ob das EuGH Urteil zur Arbeitserfassung mittelbar Einfluss auf die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats hat – das LAG Hamm konnte dies ja offenlassen.
Erfreulich ist, dass es für Arbeitgeber nach der zu erwartenden BAG Entscheidung Rechtssicherheit geben wird, ob er sich auch dann auf Verhandlungen zu einer elektronischen Zeiterfassung einlassen muss, wenn er zum Beispiel aus Gründen der Kosteneinsparung eine solche nur in Papierform durchführen lassen will.
Ganz um das Thema Zeiterfassung im Zusammenhang mit dem Betriebsrat wird ein Arbeitgeber allerdings nicht herumkommen. Schon nach aktueller Rechtsprechung hat der Betriebsrat gegen den Arbeitgeber einen Auskunftsanspruch in Bezug auf Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit (unabhängig von einer etwaigen Vertrauensarbeitszeit), um prüfen zu können, ob die Vorgaben des ArbZG eingehalten werden. Diese Daten muss der Arbeitgeber liefern, selbst wenn er die Arbeitszeiten bewusst nicht zur Kenntnis nehmen will.