Diese Woche: Die Briefwahl
Gerade in größeren Betrieben ist es unmöglich einen Termin zur Stimmabgabe zu organisieren, der der gesamten wahlberechtigten Belegschaft den Gang ins Wahllokal vor Ort im Betrieb ermöglicht.
Natürlich muss es aber den Mitarbeitenden, die an der persönlichen Stimmabgabe verhindert sind, möglich sein ihr Wahlrecht auszuüben und die Listen/Personen zu wählen, von denen sie später repräsentiert werden wollen.
Das ist auch dem Gesetzgeber bekannt und daher lässt er ausdrücklich die schriftliche Stimmabgabe, das heißt die sogenannte Briefwahl für bestimmte Fallgestaltungen zu. Allerdings ist die Briefwahl an verschiedene Voraussetzungen geknüpft. Diese sind in § 24 WO geregelt, der erst kürzlich mit dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz eine neue Fassung erhielt.
Eine generelle Anordnung der Briefwahl aus Bequemlichkeit oder ähnlichen Motiven verbietet sich in jedem Fall.
Auch bei der Prüfung der Voraussetzungen ist besondere Vorsicht für den Wahlvorstand angebracht. Denn die Anordnung der Briefwahl, ohne Vorliegen der Voraussetzungen macht die Wahl anfechtbar. Erst kürzlich hatte das BAG über eine entsprechende Anfechtung zu befinden (Pressemitteilung zum Beschluss v. 16. März 2022 – 7 ABR 29/20).
Also ist es höchste Zeit sich (nochmals) mit den Grundsätzen der Briefwahl zu beschäftigen, die nachfolgend in der gebotenen Kürze skizziert werden:
Zusendung der Briefwahlunterlagen auf Verlangen gem. § 24 Abs. 1 WO
Mitarbeitende, die am Wahltag wegen Abwesenheit vom Betrieb an der Wahl verhindert sind, können die Aushändigung oder Übersendung der in § 24 Abs. 1 Nr. 1- 5 aufgeführten Wahlunterlagen verlangen.
Auf welchen Gründen, die Abwesenheit beruht ist dabei grds. nicht von Belang. Ein unberechtigtes Fehlen soll jedenfalls aber nicht zur Zulässigkeit der Briefwahl führen.
Wird ein entsprechendes Verlangen an den Wahlvorstand herangetragen, so hat er zumindest eine kursorische Minimalprüfung im Hinblick auf das Vorliegen der Voraussetzungen vorzunehmen (vgl. Richardi BetrVG/Forst WO § 24 Rn. 4).
Zusendung der Briefwahlunterlagen ohne Verlangen gem. § 24 Abs. 2 WO
Zwei Gruppen von Mitarbeitenden hat der Wahlvorstand die Wahlunterlagen ohne Verlangen, das heißt quasi von Amts wegen auszuhändigen oder zu übersenden.
Dies betrifft zum einen Mitarbeitende, die im Zeitpunkt der Wahl nach der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses, insbesondere im Außendienst oder in Telearbeit und Heimarbeit voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden.
Zum anderen sind nun aufgrund der gesetzlichen Neuerung Mitarbeitende erfasst, die vom Erlass des Wahlausschreibens bis zum Zeitpunkt der Wahl aus anderen Gründen, insbesondere bei Ruhen des Arbeitsverhältnisses oder bei Arbeitsunfähigkeit voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden.
Diese Umstände müssen dem Wahlvorstand allerdings bekannt sein. Insbesondere bei der zweiten Alternative ist auch der Zeitraum der voraussichtlichen Abwesenheit (der ggf. prognostiziert werden muss) bedeutsam. Erkrankt ein Mitarbeitender z.B. erst 10 Tage nach Erlass des Wahlausschreibens arbeitsunfähig, sind die Voraussetzungen nach § 24 Abs. 2 Nr. 2 WO nicht gegeben. Der Mitarbeitende müsste gem. § 24 Abs. 1 WO einen Antrag stellen.
Neu ist insbesondere der gesetzliche Auskunftsanspruch des Wahlvorstands gegen den Arbeitgeber, der in § 24. Abs. 2 Satz 2 WO verankert wurde. Dieser umfasst etwa die Mitteilung der Adressen der voraussichtlich verhinderten Arbeitnehmer. Damit wurde also eine gesetzliche Grundlage, die die Datenübermittlung rechtfertigt, geschaffen.
Briefwahl für Betriebsteile und Kleinstbetriebe, die räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt sind, § 24 Abs. 3 WO
Schließlich kann der Wahlvorstand für Betriebsteile und Kleinstbetriebe, die räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt sind die schriftliche Stimmabgabe beschließen. Damit sind nicht die Betriebsteile in § 4 BetrVG gemeint, sondern unselbstständige, die dem Hauptbetrieb zuzuordnen sind.
Der Wahlvorstand muss dann nach pflichtgemäßen Ermessen entscheiden, ob er die Briefwahl beschließt. Ein gewisser Beurteilungsspielraum steht ihm dabei zu, inwiefern es für die Mitarbeitenden zumutbar ist dennoch im Hauptbetrieb ihre Stimme persönlich abzugeben.
Diese Beurteilungsspielraum ist allerdings nach Ansicht des BAG, in der oben zitierten Pressemitteilung, überschritten, wenn für drei Betriebsstätten, die unmittelbar an das umzäunte Werksgelände angrenzen, auf Basis von § 24 Abs. 3 WO die Briefwahl angeordnet wurde. Das erscheint in Anbetracht des Wortlauts des § 24 Abs. 3 WO auch folgerichtig, mag man auch vertreten, dass die weite räumliche Entfernung dort eine andere Bedeutung hat als in § 4 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG.
Da sich in dem vom BAG zu entscheidenden Fall der Fehler auch auf das Wahlergebnis auswirken konnte, hat es folgerichtig die Betriebsratswahl für unwirksam erklärt.
Für die Begründung im Einzelnen darf man auf die Veröffentlichung der Entscheidungsgründe gespannt sein.
Fazit: Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Briefwahl sollten stets überprüft werden, um kostspielige und mit einem enormen Aufwand verbundene Wahlanfechtungen und Neuwahlen zu verhindern. Wenn der Arbeitgeber während des Wahlverfahrens bemerkt, dass der Wahlvorstand dies nicht beachtet, empfiehlt es sich ihn darauf aufmerksam zu machen; ggf. kann noch eine Berichtigung erfolgen. Schließlich hat er auch regelmäßig ein ureigenes Interesse an der ordnungsgemäßen Durchführung der Wahl.
Weitere Beiträge aus dieser Reihe.
- Beitrag 1: Der Betriebsbegriff
- Teil 2: Wahlberechtigung und Wählbarkeit im gekündigten Arbeitsverhältnis
- Teil 3: Wie dürfen der Arbeitgeber und seine Vertreter sich bei Betriebswahlen positionieren?
- Teil 4: Die Briefwahl