EuGH 13.07.2023, C-134/22

Das ist doch mal eine Nachricht. Was wie ein harmloses Formular daherkommt, bereitet doch regelmäßig Probleme in der Praxis: die Massenentlassungsanzeige, die Unternehmen abgeben müssen, wenn sie innerhalb von 30 Kalendertagen eine erhebliche Zahl von Kündigungen und Aufhebungen planen.

Nicht wenige Kündigungen sind schon als unwirksam eingestuft worden, da dem Arbeitgeber Fehler bei der richtigen Abgabe unterlaufen sind.

Nun hat der EuGH geurteilt, dass die Vorgaben jedoch gar nicht alle dafür da sind, um die individuellen Rechte der betroffenen Mitarbeitenden zu stärken. Die Übermittlungspflichten des Arbeitgebers an die Agentur für Arbeit aus § 17 Abs. 3 KSchG in Bezug auf die Mitteilung an den Betriebsrat dienen nicht dem Individual-Rechtsschutz der einzelnen Arbeitnehmer.

Vorgeschichte.

Gegenstand des Verfahrens ist ein Vorabentscheidungsersuchen aus Deutschland.

Ein Insolvenzverwalter hatte Kündigungen ausgesprochen, die massenentlassungsanzeigepflichtig waren. Einer der betroffenen Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage. Er behauptete, dass die Agentur für Arbeit im Rahmen der Massenentlassungsanzeige vom Insolvenzverwalter keine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat erhalten hätte. Diese ist nach der RL 98/59 und § 17 KSchG Teil der Massenentlassungsanzeige.

Der Insolvenzverwalter war der Auffassung, dass die Regelung des § 17 Abs. 3 KSchG nicht dem individuellen Schutz der betroffenen Mitarbeitenden diene.

Der Kläger unterlag in erster und zweiter Instanz, das BAG legte die Sache dem EuGH vor. Das BAG sah zwar einen Verstoß gegen § 17 Abs. 3 KSchG. Weder die RL noch § 17 KSchG würden jedoch eine Sanktion hierfür vorsehen.

Er fragt nun den EuGH, welchen Zweck die diesbezügliche Regelung in der RL hat – und ob ein Verstoß gegen § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG und die Pflicht zur Vorlage der Mitteilung an den Betriebsrat zur Nichtigkeit der Kündigung führt.

Die Entscheidung des EuGH.

Der EuGH urteilte, dass in der fehlenden Weiterleitung der Mitteilung an den Betriebsrat an die Agentur für Arbeit kein Fehler liege, der zur Unwirksamkeit der Kündigung führt.

Er hält fest, dass die entsprechenden Pflichten in der Richtlinie nicht in Teil III (Massenentlassung) enthalten sind, sondern in Teil II (Information und Konsultation).

Die Konsultation des Betriebsrats erfolge zu einem sehr frühen Zeitpunkt, bei dem die Maßnahme noch geplant werde. Die Auskünfte, die der Arbeitgeber gegenüber dem Betriebsrat zu erteilen habe, wie Gründe für die Entlassung, Zahl und Kategorie der zu entlassenden Mitarbeitenden und Zeitraum der Entlassungen, könnten noch Entwicklungen unterliegen. Ziel des Konsultationsverfahrens sei schließlich, dass der Betriebsrat auch noch konstruktive Vorschläge machen könne.

Die Übermittlung, auch an die Agentur für Arbeit, diene entsprechend auch nur dazu, dieser einen ersten Überblick zu verschaffen. Sie könne dann prüfen, welche Maßnahmen ihrerseits möglich sind, um negative Folgen der Entlassungen zu begrenzen. Ihr werde für das Konsultationsverfahren zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat aber keine aktive Rolle zugeschrieben. Ziel sei auch nicht, dass sie sich bereits dann mit individuellen Fällen auseinandersetzt.

Auswirkungen für die Praxis.

Eine erfreuliche Nachricht – nicht alle Vorgaben in § 17 KSchG führen unmittelbar zur Nichtigkeit der Kündigungen. So bleibt es in späteren Verfahren unschädlich, wenn ein Arbeitgeber die Mitteilung an den Betriebsrat nicht gleichzeitig zugeleitet hat, wie es § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG vorsieht.

Dennoch sind Arbeitgeber gut beraten, gründlich beim Ausfüllen und Übermitteln zu sein. Die aktuelle EuGH-Entscheidung bezieht sich schließlich ausdrücklich nur auf die Übermittlung der Mitteilung an den Betriebsrat.

Es wird daher vorerst dabei bleiben, dass die eine oder andere Kündigung, bei der es zu Fehlern oder Lücken bei den Pflichtangaben zur Massenentlassungsanzeige kam, nicht wirksam ist.

Wir unterstützen Sie, wenn auch Sie eine solche Maßnahme stemmen müssen.


Astrid Krüger berät nationale und internationale Unternehmen umfassend im Bereich des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts und angrenzender Rechtsgebiete und begleitet Restrukturierungen und Transaktionen.