Der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) setzt mit seinen Handelsmarken die Markenhersteller weiter unter Druck. Zuletzt sorgte die auch im „Look & Feel“ an True Fruits angelehnte Smoothie-Handelsmarke „All in Fruits“ von EDEKA für Aufsehen. Die Strategie des LEH dahinter ist nachvollziehbar: durch die (schleichende) Austauschbarkeit der eigenen Handelsmarke mit dem Markenprodukt, sinkt insbesondere die Abhängigkeit des Händlers vom Markenhersteller, was bessere Verhandlungspositionen ermöglicht.
Dieses Verhalten berührt eine ganze Bandbreite an rechtliche Themen. Neben Verletzungen von Schutzrechten wie Design, Marke, etc. sind insbesondere auch das Kartellrecht, die noch umzusetzende Richtlinie über unfaire Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette (UTP-Richtlinie) sowie das erst kürzlich verabschiedete Geschäftsgeheimnisschutzgesetzes zu berücksichtigen.
Kartellrechtliche Überlegungen
Aus kartellrechtlicher Sicht ist zunächst festzustellen, dass der LEH im Falle von konkurrierenden Handelsmarken nicht mehr bloßer Kunde des Markenherstellers, sondern zugleich dessen Wettbewerber ist. Es sind daher auch grundsätzlich die strengeren Maßstäbe für horizontale Wettbewerbsbeschränkungen zu beachten. Vor diesem Hintergrund stellt sich sodann die Frage, ob Handelsunternehmen stärkere organisatorische Trennungen vornehmen müssen und welche Themen aus Gründen der Compliance mit den Herstellern nicht oder nur bis zu einem bestimmten Grad besprochen werden können.
Des Weiteren spielen die Vorgänge rund um Handels- und Herstellermarken eine wichtige Rolle bei der Bewertung des Innovationswettbewerbs im Rahmen der Fusionskontrolle. Verschiedene Untersuchungen legen nahe, dass es zu gravierenden Wettbewerbsverzerrungen kommen kann, wenn der Markenhersteller den Händlern neue Pipelineprodukte vorstellt, um eine Platzierung im Regal zu sichern und der LEH durch diese Orientierungsgespräche eigene Nachahmerprodukte bereits in seine Regale stellen kann, bevor das Markenprodukt eingelistet wird („First-to-Market-Imitation“).
Laut einer Untersuchung für den Markenverband aus dem Jahre 2010 betraf eine solche First-to-Market-Imitation 24 % der befragten Hersteller. In einer Umfrage der Universität Göttingen unter Leitung des Ökonomen Rainer Lademann 2017 gaben 29 % der befragten Händler an, hiervon betroffen gewesen zu sein. Im Rahmen dieser Untersuchung konnte auch nachgewiesen werden, dass ein hoher Handelsmarkenanteil mit einem Rückgang der Innovationen im Lebensmittelsektor korreliert.
Die neue UTP-Richtlinie
Bis 2021 muss die kürzlich im EU-Amtsblatt veröffentlichte Richtlinie gegen unfaire Handelspraktiken in nationales Recht umgesetzt werden. Es ist bereits jetzt klar, dass es sich um einen echten „Game Changer“ hinsichtlich der Verhandlungen und Vereinbarungen zwischen Lebensmittelherstellern und dem LEH handelt. Die Richtlinie enthält eine Reihe von Verbotsklauseln für bestimmte Praktiken des LEH (Auslistungen, Zahlungszielverlängerungen, etc.), die künftig zumindest gegenüber Lebensmittelherstellern nicht mehr möglich sein werden, die einen Jahresumsatz von bis zu EUR 350 Mio. haben. Für das deutsche Recht stellt sich die UTP-Richtlinie als sektorspezifische Verschärfung des kartellrechtlichen Anzapfverbots dar.
Hinsichtlich der Imitation von Produktinnovationen der Markenhersteller durch Handelsmarken ist der Verweis der UTP-Richtlinie auf den Schutz der Geschäftsgeheimnisse von Interesse. Insoweit müssen die EU-Mitgliedstaaten sicherstellen, dass der LEH Geschäftsgeheimnisse der Hersteller im Sinne der Know-How-Richtlinie ((EU) 2016/943) bzw. des Geschäftsgeheimnisschutzgesetzes nicht rechtswidrig erwirbt, nutzt oder offenlegt. Durch den Verweis kann der Verstoß gegen den Schutz der Geschäftsgeheimnisse im Anwendungsbereich der UTP-Richtlinie bei der nationalen Durchsetzungsbehörde geltend gemacht werden, so dass Lebensmittelhersteller nicht auf eine zivilrechtliche Durchsetzung angewiesen sind.
Das Geschäftsgeheimnisschutzgesetz im Lebensmittelsektor
Das Geschäftsgeheimnisschutzgesetz ermöglicht es Unternehmen, Informationen von wirtschaftlichem Wert, die nicht ohne Weiteres zugänglich sind, gegen den rechtswidrigen Gebrauch durch Dritte zu schützen. Das geschützte Wissen kann sowohl technischer wie auch kaufmännischer Natur sein. Bislang erfolgte der Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen in Deutschland insbesondere über die strafrechtliche Vorschrift des § 17 UWG.
Bezogen auf die Lebensmittelindustrie ist daher denkbar, dass werthaltige kaufmännische oder technische Informationen über Produkte oder Produktinnovationen gegenüber dem Handel geschützt werden, z.B. durch Vertraulichkeitsvereinbarungen. Sofern der Handel an bestimmten Informationen interessiert sein sollte, der Hersteller aber verhindern möchte, dass der LEH diese Informationen auch für die Herstellung von Nachahmerprodukten als Handelsmarke Gebrauch macht, ist zu erörtern, inwieweit bestimmte Informationen durch Vertraulichkeitsvereinbarungen partiell geschützt werden können. Der oben dargestellte Verweis der UTP-Richtlinie auf den Geheimnisschutz belegt, dass der Gesetzgeber im Bereich der Lebensmittellieferkette einen wichtigen Anwendungsbereich des Geheimnisschutzes sieht.
Aus Sicht der Compliance ist zudem von besonderer Bedeutung, dass ein Geschäftsgeheimnis nur dann schützenswert ist, sofern es Gegenstand von angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durch ihren rechtmäßigen Inhaber ist. Dies umfasst je nach Einzelfall Maßnahmen der IT-Sicherheit (Verschlüsselungstechnologien, sichere Passwörter), Organisation des Informationsflusses im Unternehmen sowie interne und externe Geheimhaltungsvereinbarung etwa in Arbeits- und Lieferverträgen. Die Beweislast für den hinreichenden Schutz liegt beim Inhaber der Geschäftsgeheimnisse.
Fazit
Nicht nur aus kartellrechtlicher Sicht sind mit der Übernahme von Produktinnovation der Markenhersteller durch Händler Compliance-Risiken verbunden. Die neueren Entwicklungen im Bereich des Verbots von unfairen Geschäftspraktiken sowie dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen bieten weitere Abwehrmöglichkeiten gegenüber dem Handel, auch unterhalb der Verletzung von Schutzrechten wie Design, Marke, etc. Den Herstellern verbleiben daher zusätzliche rechtliche Möglichkeiten, sich gegen innovationshemmende Maßnahmen des LEH zu wehren.
Dr. Kim Manuel Künstner berät Unternehmen in allen Fragen des Kartellrechts.
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