Soll ein Arbeitsverhältnis beendet werden, ist es neben den materiellen Aspekten besonders wichtig, dass alle Formalia berücksichtigt werden. Liegt ein formaler Fehler vor und setzt sich der Arbeitnehmer gegen die Kündigung zur Wehr, droht dessen Anspruch auf Weiterbeschäftigung.
Hintergrund - Betriebsbegriff der Massenentlassungsanzeige.
Im Fall der Massenentlassungsanzeige nach § 17 Kündigungsschutzgesetz kann der Betriebsbegriff eine solche Stolperfalle sein. Denn schon ab einer Entlassung von mehr als fünf Arbeitnehmern in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 Mitarbeitern innerhalb von 30 Tagen ist dies der örtlich zuständigen Arbeitsagentur anzuzeigen.
Problematisch scheint dabei regelmäßig die Frage zu sein, was genau der Betrieb nach der hier zu berücksichtigenden Massenentlassungs-Richtlinie ist und welche Mitarbeiter zu einem Betrieb zuzuordnen sind.
Jetzt wurde durch das Bundesarbeitsgericht in zwei Konstellationen (Pressemitteilung zum Urteil vom 13. Februar 2020, 6 AZR 146/19 und zum Urteil vom 14. Mai 2020, 6 AZR 235/19) zu der bekannten Air Berlin Insolvenz konkretisiert, was unter diesem Begriff „Betrieb“ zu verstehen ist und welche Mitarbeiter zuzuordnen sind:
Konkrete Umstände.
Die Air Berlin hatte ihre Mitarbeiter je nach Tätigkeit – „Cockpit“, „Kabine“ oder „Boden“ - einzelnen „Betrieben“ zugeteilt. Die Mitarbeiter waren jeweils an verschiedenen Einsatzorten, den sogenannten „Stationen“ tätig.
In den der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalten war die klagende Partei als Pilot beziehungsweise als Kabinenpersonal bei der Air Berlin mit dem Einsatzort Düsseldorf beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde jeweils wegen Stilllegung des Flugbetriebs gekündigt. Air Berlin erstattete wegen der zentralen Steuerung des Flugbetriebs die erforderliche Massenentlassungsanzeige für den angenommenen „Betrieb Cockpit“ beziehungsweise „Betrieb Kabine“ und bezogen auf das deutschlandweit eingesetzte Personal unabhängig von deren jeweiliger Einteilung in die einzelnen Stationen zentral bei der für den Sitz der Air Berlin zuständigen Agentur für Arbeit in Berlin Nord.
Entscheidung.
Nach Auffassung des BAG handelt es sich nach dem unionsrechtlich determinierten Betriebsbegriff des § 17 Absatz 1 KSchG bei den Stationen der Air Berlin um Betriebe i. S. dieser Norm. Insofern liege die Air Berlin falsch, wenn sie meint, dass ein „Betrieb“ deswegen vorliegt, weil die Mitarbeiter je nach Bereich anderen Tätigkeiten nachgehen. Etwas anderes gelte auch nicht, nur weil die Arbeitsagentur Berlin Nord auf Anfrage der Air Berlin mitgeteilt hatte, dass durchaus drei Betriebe „Boden“, „Cockpit“ und „Kabine“ vorliegen könnten, wenn diese denn so tatsächlich gelebt wurden und letztlich auch in der Unternehmensrealität entsprechend abgebildet wurde.
Folglich hätte die Massenentlassungsanzeige für die der Station Düsseldorf zugeordneten Piloten bei der tatsächlich zuständigen Agentur für Arbeit in Düsseldorf erfolgen müssen. Gleiches gilt für das Kabinenpersonal. Denn dort in der Station Düsseldorf würden bei typisierender Betrachtung die Auswirkungen der Massenentlassung auftreten, denen durch eine frühzeitige Einschaltung der zuständigen Agentur für Arbeit entgegengetreten werden solle.
Die Anzeige hätte sich zudem nicht auf Angaben zum Cockpit-Personal beziehungsweise zum Kabinenpersonal beschränken dürfen. Zu dem Betrieb der Air Berlin in Düsseldorf würden alle Mitarbeiter unabhängig von der jeweiligen Tätigkeit gezählt. Ohne Belang sei es, dass diese Beschäftigungsgruppen kollektivrechtlich in andere Vertretungsstrukturen eingebettet waren.
Praxis.
Nach dem BAG ist also der Betrieb i. S. d. § 17 KSchG dort zu verorten, wo bei typisierender Betrachtung die Auswirkungen der Massenentlassung auftreten. Denn diese sind es, denen durch die Anzeige der Massenentlassung entgegen getreten werden soll. Zudem darf nicht zwischen den Berufsgruppen vor Ort unterschieden werden, da es für den Betriebsbegriff nach der Massenentlassungs-Richtlinie nicht darauf ankommt, ob Beschäftigungsgruppen kollektivrechtlich in unterschiedliche Vertretungsstrukturen eingebettet sind.
Die Entscheidung bestätigt, dass die Durchführung von Massenentlassungsverfahren komplex ist. Jeder Einzelfall ist gesondert zu betrachten und insbesondere sollte stets sichergestellt werden, dass die oft langjährig durch das Unternehmen praktizierten Abläufe genauestens geprüft und hinterfragt werden.