Für Arbeitnehmer kann es sehr schwer sein, zwischen Arbeit und Privatem zu differenzieren, wenn aus dem Homeoffice heraus gearbeitet wird. Häufig besteht kein eigenes Arbeitszimmer, sondern der „Schreibtisch“ ist gleichzeitig Esstisch und Spielfläche – hinzu kommen möglicherweise weitere Familienmitglieder oder Mitbewohner, die ihrerseits im Homeoffice arbeiten oder Zuhause betreut werden müssen.
Ereignet sich in diesem Umfeld ein Unfall, ist häufig fraglich, an wen sich Arbeitnehmer wenden können – gesetzliche Unfallversicherungen oder ihre eigene, individuelle Versicherung (sofern sie denn besteht)?
Einzelfall ist entscheidend - Beispiel Treppensturz.
Das Bundessozialgericht („BSG“) differenziert bei dieser Frage danach, ob der Unfall im Zuge einer arbeitsbedingten Tätigkeit passierte oder ob er dem privatem Bereich zuzuordnen ist. Dabei ist jeder Einzelfall gesondert zu betrachten – und Treppensturz ist nicht gleich Treppensturz. Das klingt absurd, ist aber Fakt.
Das BSG entschied etwa für einen der Sturz auf einer Kellertreppe zu Hause, dass ein Arbeitsunfall vorläge, weil die Klägerin ihr häusliches Arbeitszimmer im Keller eingerichtet hatte und sie gerade auf dem Weg dahin war, als sie stürzte (BSG, Urteil vom 27.11.2018, B 2 U 28/17 R).
Andererseits war ein Sturz auf der Treppe auf dem Weg vom Arbeitszimmer in die Küche, um dort etwas zu trinken, kein Arbeitsunfall. Dieser Weg innerhalb des Hauses oder innerhalb der Wohnung sei nicht zum Zwecke der Ausübung zurückgelegt worden, sondern quasi Privatvergnügen (BSG, Urteil vom 05.07.2016, B 2 U 5/15 R). Der Arbeitnehmer habe die Risiken, die in seiner privaten Wohnung auftreten, selbst zu tragen. Anders als in betrieblichen Räumen, habe der Arbeitgeber auch keine Möglichkeit, präventive, gefahrreduzierende Maßnahmen zu ergreifen. Aus Gründen der sachgerechten Risikoverteilung, verbleibe daher das vom häuslichen und damit persönlichen Lebensbereich ausgehende Unfallrisiko beim Arbeitnehmer.
Mit der zunehmenden Zahl der Beschäftigung im Homeoffice, dürfte die Frage, was als Arbeitsunfall anerkannt wird und was nicht, die Gerichte in Zukunft deutlich häufiger beschäftigen. Hier wäre zu wünschen, dass sich für die Zukunft eine klare Linie herausbildet, damit Rechtssicherheit für die Unternehmen und die Beschäftigten geschaffen werden kann.
Unfallversicherungsschutz auch auf dem Weg zur Arbeit – egal von wo.
Zum Schutz durch die gesetzliche Unfallversicherung auf dem Arbeitsweg hat das BSG in zwei Urteilen Anfang des Jahres 2021 im Übrigen einen schwelenden Streit beendet und entschieden, dass der gesetzliche Unfallversicherungsschutz nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auf dem Weg zur Arbeit auch von sogenannten „dritten Ort“ aus bestehen kann (vgl. BSG vom 30. Januar 2021, B 2 U 2/18 R und B 2 U 20/18 R). Ein dritter Ort liegt beispielsweise dann vor, wenn der Arbeitsweg nicht vom Wohnsitz aus angetreten wird, sondern von einem anderen Ort, also etwa aus zum Beispiel die Wohnung von Freunden, Partnern oder Verwandten.
Nach Ansicht des BSG, kommt es für den Versicherungsschutz weder auf den Zweck des Aufenthaltes an dem dritten Ort, noch auf einen Angemessenheitsvergleich mit der üblichen Weglänge und Fahrzeit des Arbeitsweges an. Demnach ist es egal, ob an Stelle des üblichen Arbeitsweges von beispielsweise zwei Kilometern eine weitaus längere Strecke zurückgelegt werden muss. Entscheidend ist, ob der Weg unmittelbar zum Zweck der Aufnahme der beruflichen Tätigkeit beziehungsweise unmittelbar nach deren Beendigung zurückgelegt wird.
Ist dies der Fall, sind Unfälle auf dieser Strecke von der gesetzlichen Unfallversicherung als „Arbeitsunfall“ geschützt. Konsequenterweise würde dieser Unfallschutz auch greifen, wenn Arbeitnehmende ihr „Homeoffice“ zu Bekannten, Verwandten oder aber in eine Ferienwohnung verlegen und von dort aus zu einer Arbeitsstätte fahren.