Nun sind wir wieder alle schlauer: Arbeitnehmer können dauerhaft ins Ausland versetzt werden, wenn im Arbeitsvertrag nichts anderes vereinbart ist oder nach den Umständen konkludent etwas anderes vereinbart worden ist.
Dies hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 30.11.2022 (5 AZR 336/21) entschieden. Das Direktionsrechts des Arbeitgebers aus § 106 GewO, wodurch der Arbeitgeber grundsätzlich die Leistungspflicht des Arbeitnehmers nach Zeit, Inhalt und Ort bestimmen kann, begrenzt sich nicht nur auf Deutschland. Allerdings muss auch eine solche Versetzung in jedem Einzelfall einer Billigkeitskontrolle standhalten, das heißt der Arbeitgeber muss einen sachlichen Grund haben und die Versetzung muss dem Arbeitnehmer zumutbar sein.
Sachverhalt.
Ein Pilot einer Ryanair Tochterfirma war seit 2018 am Stationierungsort Nürnberg beschäftigt. Gemäß dem Arbeitsvertrag konnte der Pilot auch an andere Orte stationiert werden. Ende März 2020 gab die Fluggesellschaft die Homebase am Flughafen Nürnberg auf - und versetzte den Piloten zum 30. April 2022 an die Homebase am Flughafen Bologna in Italien.
Urteil.
Das Bundesarbeitsgericht entschied, wie zuvor auch das Landesarbeitsgericht Nürnberg, dass die Versetzung von Nürnberg nach Bologna wirksam ist.
Zunächst stellt das Bundesarbeitsgericht klar, dass das Weisungsrecht des Arbeitgebers auch eine Versetzung ins Ausland umfasst und mithin nicht auf Deutschland beschränkt ist. Dies gilt zumindest dann, wenn arbeitsvertraglich ein bestimmter Arbeitsort nicht fest vereinbart wurde, sondern der Arbeitsvertrag eine unternehmensweite Versetzungsklausel enthält.
Nach dem Bundesarbeitsgericht entsprach die Entscheidung zur Versetzung auch billigem Ermessen und hielt damit auch einer Ausübungskontrolle im Einzelfall stand:
Grundlage war zunächst die unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers, die Homebase in Nürnberg aufzugeben, wodurch die Möglichkeit der Beschäftigung in Nürnberg für den Piloten entfallen war. Das mit der Gewerkschaft VC in einem Tarifsozialplan vereinbarte Verfahren für solch einen Fall wurde eingehalten, eine anderweitige Beschäftigung in Deutschland war nicht möglich: An keinem anderen Stationierungsort in Deutschland gab es offene Stellen, einen Einsatz als „mobiler Pilot“ war unmöglich, eine Base-Präferenz hatte der Pilot nicht angegeben und alle anderen Kollegen des Piloten wurden ebenfalls von Nürnberg an den Standort in Italien, Bologna, versetzt.
Ferner sei auch ein künftig niedrigeres Gehalt des Klägers kein Hindernis: Dass der Kläger den Anspruch auf ein höheres tarifliches Entgelt verliere, welches er in Deutschland erzielt hatte, liege an dem von den Tarifvertragsparteien vereinbarten Geltungsbereich des Vergütungstarifvertrags, der auf die in Deutschland stationierten Piloten beschränkt ist. Das führe nicht zur Unbilligkeit. Der Tarifsozialplan sieht darüber hinaus vor, dass Piloten, die an einem ausländischen Stationierungsort verlegt werden, zu den dort geltenden Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigt werden. Nach dem Bundesarbeitsgericht sei zur Wahrung billigen Ermessens eine über den im Tarifsozialplan vereinbarten Ausgleich hinausgehende Zahlung nicht erforderlich, obgleich der Pilot dies forderte, da er seinen Wohnort in Nürnberg nicht aufgeben wollte.
Auswirkungen im Arbeitsrecht.
Diese Entscheidung „kollidiert“ mit einer älteren Entscheidung des 2. Senats des BAGs, wonach sich Arbeitnehmende - etwa im Falle drohender Kündigung - nicht auf freie Arbeitsplätze eines im Ausland gelegenen Betriebs des Unternehmens berufen konnten (BAG 29.8.2012, NZA 2014, 730).
Für internationale Unternehmen mit Standorten in Deutschland aber auch im Ausland eröffnen sich durch die Entscheidung neue Möglichkeiten – und Risiken. Mitunter ist eine Versetzung ins Ausland gar nicht gewünscht, könnte aber künftig von Mitarbeitenden eingefordert werden, wenn es um betriebsbedingte Beendigungen geht.
Unternehmen sollten daher nun genau prüfen, welche Formulierungen sie betreffend Arbeitsort und Versetzungsklausel in ihren Arbeitsverträgen haben – und welche Folgen das haben kann.
Hier sind die Für und Wider der verschiedenen Konstellationen abzuwägen – wir beraten Sie gerne.
Mike Schaidreiter berät national und internationale Unternehmen unterschiedlicher Größen und Branchen auf sämtlichen Gebieten des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts.