Kartellrecht und Privatversicherungen – ein Wirtschaftssektor wie jeder anderer?
Ungeachtet ihrer äußerst sensiblen Aufgaben, insbesondere innerhalb der Gesundheitsversorgung, bleibt die (private) Versicherungsbranche vom Kartellrecht nicht verschont. Dies war nicht immer der Fall. So waren Versicherungsunternehmen zunächst vom deutschen Kartellrecht ausgenommen, Einen Paradigmenwechsel kennzeichnet das Feuerversicherungsurteil des EuGH aus dem Jahr 1987, in welchem der EuGH die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf die Versicherungsbranche erklärte. Im nationalen Kartellrecht wurden die letzten kartellrechtlichen Privilegien für den privaten Bereich der Branche im Jahr 2005 abgebaut. Die unionsrechtliche Gruppenfreistellungsverordnung für die Versicherungswirtschaft stellte bestimmte Formen der Mitversicherung und Kooperation im Bereich der Statistikarbeit für den Schadenbedarf frei, lief jedoch zum 31. Juli 2017 ersatzlos aus.
Im Ergebnis gelten heute für den Privatversicherungssektor im allgemeinen und für die Privatkrankenkassen im speziellen grundsätzlich die allgemeinen kartellrechtlichen Regeln, denen auch andere Wirtschaftsunternehmen unterworfen sind. Folglich müssen sich die Versicherungsunternehmen insbesondere am Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen, dem kartellrechtlichen Missbrauchsverbot und der Fusionskontrolle messen lassen.
Kartellrechtliche Fallstricke in der Privatversicherungswirtschaft
Gerade im Hinblick auf das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen (Art. 101 AEUV, § 1 GWB) kann der Privatversicherungswirtschaft eine gewisse Gefahrgeneigtheit nicht abgesprochen werden. Dabei geht es weniger um klare und vorsätzliche Kartellverstöße wie beispielsweise die Absprache über Beitragshöhen oder die Zuteilung bestimmter Versicherungsnehmer, um Wettbewerb auszuschließen. Vielmehr entstehen auch leicht zu übersehende Kartellfallstricke im Rahmen zulässiger Kooperationen mit Wettbewerbern. Solche Kooperationen sind im Versicherungssektor aber regelmäßig auch aus wettbewerbspolitischer Sicht erwünscht. Sie umfassen insbesondere Vertriebskooperationen, Benchmarking, Marktinformationssysteme, Musterversicherungsbedingungen, Rahmenverträge mit Leistungserbringern, Vereinheitlichung technischer Standards (z.B. Plattformen, Internetvergleichsportale), etc.
Der bereits erwähnte Wegfall von kartellrechtlichen Sonderregelungen für den Privatversicherungssektor führt indessen nicht dazu, dass diese Kooperation per se kartellrechtswidrig sind. Allerdings bedarf es im Rahmen der sog. Selbsteinschätzung einer angemessenen Prüfung der kartellrechtlichen Zulässigkeit der Zusammenarbeit mit den Wettbewerbern, um negative Folgen wie behördliche Untersuchungen, Bußgeldverfahren oder Schadensersatzklagen zu vermeiden.
Auch in der Vergangenheit freigestellte Kooperationen zwischen Versicherungsunternehmen können potentielle Gefahrenquelle sein. Es kommt in der kartellrechtlichen Praxis nicht selten vor, dass zuvor erlaubte Verhaltensweisen auch nach Wegfall der gesetzlichen Privilegierung fortgesetzt werden. Die Beteiligten verstoßen dann mitunter unbesehen und ungewollt gegen das Kartellverbot, ohne dass diese Unwissenheit vor Strafe schützt. Aus Compliance-Sicht ist es angezeigt, zu überprüfen, ob Verhaltensweisen oder Abreden fortbestehen, die nicht (mehr) bzw. nicht in der bisherigen Art und Weise mit dem Kartellverbot vereinbar sind.
Selbst wenn Kooperationen zwischen Wettbewerbern der Versicherungsbranche kartellrechtlich zulässig sind, geht von gemeinsamen Treffen der Unternehmensvertreter eine latente Kartellrechtsgefahr aus, sofern sich die Teilnehmer nicht darüber im Klaren sind, worüber sie sich unterhalten dürfen und worüber nicht. Auch bei solchen Anlassen kann es passieren, dass die Unternehmensvertreter – ohne böse Absicht – Inhalte und Informationen austauschen, die von der zulässigen Kooperation nicht mehr erfasst sind. Da bereits ein einmaliger kartellrechtswidriger Austausch zu einem Bußgeldverfahren führen kann und die bloße Anwesenheit bei einem solchen Austausch ohne ausdrücklichen Widerspruch eine Teilnahmehandlung am Kartell darstellt, ist besonderes Augenmerk auf die angemessene Schulung der Unternehmensvertreter zu legen, damit diese jederzeit mit der notwendigen Sicherheit wissen, welche Informationen sie mit wem teilen dürfen.
Schließlich besteht im Bereich der Krankenversicherung ein kartellrechtliches Ungleichgewicht zwischen den Privatkrankenkassen und den gesetzlichen Krankenkassen. Denn die gesetzlichen Krankenkassen sind weitestgehend vom Kartellverbot ausgenommen, während die Privatkrankenkassen – wie erläutert – uneingeschränkt dem Kartellrecht unterliegen. Aus nachvollziehbaren Gründen kann dies von Vertretern der Privatkrankenkassen als ungerecht empfunden werden. Ein solches Empfinden führt in der kartellrechtlichen Praxis mitunter zur Rechtfertigung eines kartellrechtlich problematischen Verhaltens „aus Notwehr“. Jedoch taugt auch dies – so nachvollziehbar ein solcher Ansatz im Einzelfall sein mag – nicht zur Verteidigung gegen den Vorwurf von Kartellverstößen gegenüber den Wettbewerbsbehörden.
Fazit
Der private Versicherungssektor unterliegt den allgemeinen kartellrechtlichen Vorgaben, insbesondere dem Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen. Dies ist in der Praxis insbesondere aufgrund der notwendigen und auch gewünschten Kooperationen mit Wettbewerbern problematisch. Zur Vermeidung von Bußgeldverfahren und Schadensersatzklagen sollten Versicherungsunternehmen daher durch kartellrechtliche Selbsteinschätzungen und Mitarbeiterschulungen präventiv tätig werden.
Dr. Christoph Peter ist geschäftsführender Partner unserer Kanzlei und berät Unternehmen in allen Bereichen des Kartellrechts. Schwerpunkte seiner Beratung sind unter anderem die Koordination von multijurisdiktionalen Unternehmenszusammenschlüssen, die Beratung von Unternehmenskooperationen und Verbänden, und die Vertretung von Unternehmen in Bußgeldverfahren vor dem Bundeskartellamt, der EU Kommission und EuG / EuGH.