Seit dem 19. Januar 2021 ist die 10. GWB-Novelle in Kraft. Das große Thema ist das neue regulatorische Instrument für die großen digitalen Plattformen (Google, Amazon, Facebook, Apple & Co.) in § 19a GWB.

Daneben lohnt sich aber ein Blick auf andere, Compliance-relevante Änderungen, die teilweise erst in letzter Minute Eingang in die Gesetzesnovelle fanden:

Missbrauchskontrolle: Erweiterung des Konzepts der relativen Marktmacht.

Droht ein Abnehmer von Waren einem Lieferanten mit der Auslistung oder ein Lieferant einem Abnehmer mit Nichtbelieferung, kann dies künftig leichter und schneller zur Annahme der Ausnutzung relativer Marktmacht auch unterhalb der Schwelle einer marktbeherrschenden Stellung führen. Unternehmen müssen daher prüfen, ob sie durch die GWB-Novelle nunmehr vom Verbot der Ausnutzung relativer Marktmacht betroffen sind, insbesondere wenn sie Geschäftsbeziehungen abbrechen oder Geschäftspartner anderweitig unbillig behindern oder ohne sachliche Rechtfertigung ungleich behandeln. Umgekehrt können abhängige Unternehmen vom erweiterten Konzept der relativen Marktmacht profitieren, um sich gegen Geschäftsabbrüche und ähnliche Maßnahmen zu wehren.

Bereits in der Vergangenheit galt das Verbot der unbilligen Behinderung beziehungsweise sachlich nicht gerechtfertigten Diskriminierung in Deutschland nicht nur für marktbeherrschende Unternehmen, sondern bereits für Unternehmen mit relativer Marktmacht (§ 20 Abs. 1 GWB). Vor relativer Marktmacht geschützt wurden jedoch nur kleine oder mittlere Unternehmen. Dies schloss größere Lieferanten insbesondere im Bereich der Lebensmittel- und Automobilzulieferindustrie selbst bei großer Abhängigkeit von einzelnen Abnehmern vom Schutzbereich der relativen Marktmacht aus.

Mit der 10. GWB-Novelle sind nicht mehr nur kleine und mittlere Unternehmen geschützt, sondern Unternehmen jeglicher Größe, sofern für sie im konkreten Fall ausreichende und zumutbare Möglichkeiten, auf dritte Unternehmen auszuweichen, nicht bestehen und ein deutliches Ungleichgewicht zur eigenen Gegenmacht besteht. Sind Lieferant und Abnehmer in der konkreten Geschäftsbeziehung wechselseitig voneinander abhängig, liegt daher auf keiner Seite relative Marktmacht vor. Entscheidend sind die jeweiligen kurzfristigen Ausweichmöglichkeiten, die den beteiligten Unternehmen verbleiben und welche finanziellen Folgen ein Abbruch der Geschäftsbeziehung jeweils hätte.

Anspruch gegenüber Kartellamt auf Entscheidung über Nichtgebrauch behördlicher Befugnisse.

Anders als bei Zusammenschlüssen, gibt das Bundeskartellamt Sachverhalte, die in den Anwendungsbereich des Kartellverbots oder der Missbrauchskontrolle fallen können, nicht als „unbedenklich“ frei. Bislang konnte die Behörde jedoch nach § 32c GWB mitteilen, dass sie hinsichtlich konkreter Sachverhalte derzeit keine Veranlassung zum Tätigwerden sieht, was die Rechtssicherheit von Unternehmen insbesondere bei Kooperationen mit Wettbewerbern erhöhte. Um diese Rechtssicherheit weiter zu erhöhen, haben Unternehmen und Unternehmensvereinigungen nun einen Anspruch auf eine solche Entscheidung, wenn es um Kooperationen mit Wettbewerbern geht und ein rechtliches und wirtschaftliches Interesse an einer Entscheidung besteht (§ 32c Abs. 4 GWB-neu).

Berücksichtigung präventiver Compliance-Maßnahmen bei Bußgeldzumessung.

Quasi auf der Zielgeraden wurde die Berücksichtigung präventiver Compliance-Maßnahmen bei der Bemessung von Kartellbußgeldern in § 81d Abs. 1 Nr. 4 GWB-neu aufgenommen. Bislang waren nur nachträgliche Maßnahmen nach dem Kartellrechtsverstoß in Nr. 5 vorgesehen.

Zuvor war die Berücksichtigung präventiver Compliance-Maßnahmen in der Praxis sehr umstritten, da man bei einer Zuwiderhandlung trotz solcher Maßnahmen auch den Schluss ziehen konnte, dass die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichten. Künftig muss jedoch eine Auseinandersetzung im Rahmen der Bußgeldbemessung erfolgen. Compliance-Maßnahmen stehen damit auf dem behördlichen Prüfstand.

Der Gesetzgeber schafft damit auch einen Gleichklang zum Entwurf des deutschen Verbandssanktionenrechts („Unternehmensstrafrecht“), in welchem auch sowohl präventive als auch nachträgliche Compliance-Maßnahmen bei der Bemessung der Verbandssanktion berücksichtigt werden sollen.

Höhere Inlandsumsatzschwellen für Fusionskontrolle in Deutschland.

Die Inlandsumsatzschwellen der deutschen Fusionskontrolle werden erheblich angehoben. Demnach besteht eine Anmeldepflicht grundsätzlich nur noch, wenn ein beteiligtes Unternehmen im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr vor der Behördenentscheidung einen Inlandsumsatz in Deutschland von mehr als EUR 50 Mio. (zuvor EUR 25 Mio.) erzielte und ein weiteres Unternehmen von mehr als EUR 17,5 Mio. (zuvor EUR 5 Mio.).

Vorsicht gilt jedoch weiterhin bei hohen Kaufpreisen bzw. Transaktionswerten, die für ein Zielunternehmen getätigt werden, welches keinen Umsatz von mehr als EUR 17,5 Mio. in Deutschland erzielt hat. Denn wenn der Kaufpreis beziehungsweise Transaktionswert mehr als EUR 400 Mio. beträgt, besteht gleichwohl eine Anmeldepflicht in Deutschland, wenn das erwerbende Unternehmen (oder ein anderes beteiligtes Unternehmen, das nicht das zu erwerbende Unternehmen ist) mehr als EUR 50 Mio. Umsatz in Deutschland erzielte.


Dr. Kim Manuel Künstner berät Unternehmen in allen Fragen des Kartellrechts.