Die Entscheidung des EuGH in Sachen Coty war so zu erwarten. Sie bringt erfreuliche Klarstellungen hinsichtlich zweier Fragen:
Kann das Luxusimages eines Gutes ein legitimes Interesse sein, so dass ein Hersteller im Rahmen seines selektiven Vertriebssystems den zugelassenen Händlern untersagen kann, über Drittplattformen (Amazon & Co.) zu veräußern?
Liegt eine unzulässige Kernbeschränkung im Sinne der Vertikal-GVO vor, wenn Hersteller den Vertrieb über Drittplattformen (Amazon & Co.) verbieten?
Die unmittelbaren Reaktionen auf das Urteil fokussieren sich sehr stark auf die Frage, ob „Anbieter von Luxusgütern“ Drittplattformen verbieten dürfen. Teilweise wird der EuGH dafür kritisiert, nicht hinreichend deutlich gemacht zu haben, was „Luxusgüter“ seien und welche Folgen das Urteil allgemein für Markenhersteller habe.
Dies wird der Reichweite und Bedeutung der Entscheidung nicht gerecht. Die Fokussierung auf den Bereich „Luxusimage“ beruht auf diversen Auslegungsversuchen von Gerichten und Autoren zum älteren EuGH-Urteil Pierre Fabre. All diesen Auslegungen hat der EuGH mit Coty jedoch eine Absage erteilt und das Thema „Luxusimage“ wieder dort verortet, wo es hingehört: als eine von mehreren Fallgruppen der Metro-Kriterien. Letzteren sollten Markenhersteller und ihre Rechtsberater ihre Aufmerksamkeit schenken, anstatt nun den Fehler nach Pierre Fabre zu wiederholen und sämtliche Fälle unter die Coty-Entscheidung subsumieren zu wollen. Vielmehr sollte man sich auf die Hauptaussagen des Urteils in Coty konzentrieren, die ohnehin schon weit über „Luxusprobleme“ hinausgehen. Im Einzelnen:
Plattformverbote sind keine Kernbeschränkungen nach Vertikal-GVO.
Der EuGH kommt zu dem eindeutigen Ergebnis, dass Drittplattformverbote keine Kernbeschränkung im Sinne der Vertikal-GVO sind. Er schließt sich damit sowohl der Ansicht des Generalanwalts Wahl als auch der Europäischen Kommission aus der Sektoruntersuchung e-Commerce an. Insbesondere hält der EuGH einen Ausschluss von Amazon & Co. weder für eine Kundengruppenbeschränkung (Art. 4 lit. b Vertikal-GVO) noch für ein Verbot des passiven Verkaufs an Endverbraucher im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems (Art. 4 lit. c Vertikal-GVO).
Insoweit besteht ein wichtiger Unterschied zur Entscheidung in Sachen Pierre Fabre, in welcher ein Kosmetikhersteller seinen Händlern pauschal den Vertrieb über das Internet insgesamt verboten hatte. Der EuGH hebt diesen Unterschied auch hervor und erteilt daher jeder Auslegung der Pierre Fabre Entscheidung eine Absage, wonach von der Kernbeschränkung bei Totalverbot des Internethandels auf eine Kernbeschränkung bei Verbot von Drittplattformen zu schließen sei.
Dass Plattformverbote nicht als Kernbeschränkungen im Sinne der Vertikal-GVO zu qualifizieren sind, hat weitreichende Folgen: unabhängig von Art und Beschaffenheit des Produktes (insbesondere hinsichtlich Prestige, Luxus, etc.) sind Drittplattformverbote nach der Vertikal-GVO vom Kartellverbot freigestellt. Verfügen daher weder der Hersteller auf dem betroffenen Produktmarkt noch die Händler auf den betroffen Handelsmärkten über Marktanteile von mehr als 30 %, kann der Verkauf über Amazon & Co. durch den Händler untersagt werden. Welche Beschaffenheit ein Produkt aufweist, um ein Drittplattformverbot zu rechtfertigten, spielt im Anwendungsbereich der Vertikal-GVO daher keine Rolle. Es muss für die Beschränkung der Drittplattformen auch kein selektives Vertriebssystem eingerichtet werden. Die Erörterung der Luxusfrage erübrigt sich erst recht. Ein „Luxusproblem“ besteht daher nicht.
Die Freistellung der Drittplattformverbote gilt jedoch nicht schrankenlos. Das Bundeskartellamt bzw. die Europäische Kommission kann insoweit die Vorzüge der Freistellung nach Art. 29 VO 1/2003 entziehen, wenn das Drittplattformverbot spürbar wettbewerbsbeschränkend sein sollte. Völlig anlasslose, willkürliche und diskriminierende Plattformverbote sollten daher auch im Anwendungsbereich der Vertikal-GVO unterbleiben.
Drittplattformverbote zum Zwecke der Qualitätswahrung keine Wettbewerbsbeschränkung.
Wie sieht es nun aber für Hersteller aus, die z.B. aufgrund ihrer Marktstellung nicht unter die Vertikal-GVO fallen? Liegt bei diesen eine Wettbewerbsbeschränkung vor, sofern sie den Vertrieb über Drittplattformen untersagen?
Grundsätzlich ist der Anwendungsbereich des Verbots wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen nach Art. 101 AEUV bzw. § 1 GWB eröffnet. Der Ausschluss bestimmter Handelsplattformen – insbesondere solch prominenter wie Amazon, eBay, etc. – führt zu einer Beschränkung des sog. Intrabrand-Wettbewerbs, d.h. des Wettbewerbs der Händler um Abnehmer derselben Produkte.
Verfolgt der Hersteller mit der Beschränkung der Händler jedoch legitime Interessen wie die Wahrung der Produktqualität bzw. die Gewährleistung des richtigen Gebrauchs, kann ein selektives Vertriebssystem einen Ausweg weisen. Denn der EuGH kam bereits in seiner Metro-Entscheidung zum Ergebnis, dass selektive Vertriebssysteme dann keine Wettbewerbsbeschränkung darstellen, wenn sie auf qualitativen Kriterien beruhen, der Qualitätswahrung bzw. des sicheren Gebrauchs der Produkte dienen, diskriminierungsfrei angewandt werden und nicht über das zum Erreichen der legitimen Ziele Notwendige hinausgehen.
Dies sieht der EuGH im Fall Coty als gegeben an. Denn das Luxusimage der von Coty hergestellten Parfüms sei gerade Bestandteil der Produktqualität. Kunden sind bereit für Düfte, die sich mit Namen von Luxusmarken insbesondere aus den Branchen der Mode und des Motorsports schmücken, mehr Geld auszugeben, als für Düfte, bei denen dieser Imagetransfer nicht vorliegt, obwohl sie stofflich gleichwertig oder sogar identisch sein mögen. In diesem Sinne verweist der EuGH auch auf seine parallele Entscheidung in Sachen Copad. Dort ging es um die Frage, ob ein markenrechtlicher Verstoß vorliegt, wenn ein Lizenznehmer ein Luxusparfüm entgegen des selektiven Vertriebssystems über einen Discounter vertreibt. Der EuGH bejahte den möglichen Verstoß und bezeichnete dieselben Kriterien wie in der Metro-Entscheidung als maßgeblich.
Daher geht es auch insoweit im Falle von Coty weniger um „Luxus“ als um Markenschutz. Auch hier liegt ein wesentlicher Unterschied zur Entscheidung Pierre Fabre, in der es gerade nicht um den Markenimagetransfer einer Luxusmarke auf ein anderes Konsumgut ging, sondern um die herstellerseitige Bezeichnung von Kosmetik als „Luxuskosmetik“.
Folgen für andere Markenhersteller.
Wenn sich daher vor dem Hintergrund der Coty-Entscheidung andere Markenhersteller die Frage stellen, ob sie „Luxusgüter“ herstellen und sich daher auf für ihre Plattformverbote auf die Entscheidung beziehen wollen, ist dies ein völlig verfehlter Ansatz. Zumindest erscheint es auch aus geschäftlicher Sicht fragwürdig, wenn Markenhersteller hochwertiger Produkte in Zukunft argumentieren wollen, dass ihre Produkte stofflich gleichwertig zur Konkurrenz aus dem Discounter seien und der Eindruck der höheren Wertigkeit alleine Ausfluss der herstellereigenen (!) Marke sei.
Beim „Luxusimage“ enden die Möglichkeiten der Rechtfertigung eines Ausschlusses von Drittplattformen im selektiven Vertriebssystem jedoch nicht, sondern fangen erst an. In den Metrokriterien des EuGH steht nichts vom „Schutz des Prestigeimages“ oder dergleichen. Entscheidend ist der Beitrag zur Wahrung der Qualität und der richtigen Nutzung des Produktes. Markenhersteller müssen sich daher nicht fragen, ob sie ihren Sachverhalt unter die Coty-Entscheidung quetschen können. Sie müssen sich vielmehr fragen, inwieweit ihr selektives Vertriebssystem legitimen Interessen im Sinne der Metro-Kriterien dient. Auch insoweit bestehen keine „Luxusprobleme“.
Den Weg weist die rechtskräftige Deuter-Entscheidung des OLG Frankfurt, die parallel zu Coty erging, mangels „Luxusimage“ und Bedeutung von Pierre Fabre jedoch zurecht nicht dem EuGH vorgelegt wurde. Deuter hat als Hersteller von Funktionsrucksäcken ebenfalls im Rahmen seines selektiven Vertriebssystem den Weitervertrieb über Drittplattformen untersagt. Die Rechtfertigung des Drittplattformverbots anhand eines „Prestigeimages“ ist angesichts der Produktkategorie „Rucksäcke“ nicht naheliegend und war im Deuter-Fall kein gangbarer Weg. Entgegen seiner anfänglichen Auffassung, nahm das OLG jedoch darüber hinausgehend an, dass die Signalisierung einer gehobenen Produktqualität wettbewerblich gerade da geboten sei, wo sich diese Qualität für den durchschnittlich informierten Verbraucher schwer beurteilen lasse, wie beim Erwerb länger und intensiver genutzter Artikel, bei denen sich der Gebrauchswert erst nach einiger Zeit zeige. Zudem sieht das OLG einen Beratungsbedarf bei Funktionsrucksäcken, der ein Drittplattformverbot rechtfertigt. Auch hier geht es um die Frage, ob ein selektives Vertriebssystem zu einer Produktdifferenzierung beiträgt, von welcher die Verbraucher letztlich durch größere Auswahl und bessere Beratung profitieren.
Weitere Fälle sind denkbar, etwa für Produkte deren Sicherheit von der ordnungsgemäßen Inbetriebnahme bzw. dem ordnungsgemäßen Gebrauch abhängen, wie beispielsweise bei Fahrradträgern für Automobile.
Verbote für Suchmaschinennutzung und Adwords nicht zulässig.
Quasi en passant stellt der EuGH klar, dass über die Plattformverbote hinausgehende Verbote der Hersteller hinsichtlich der Weitergabe von Informationen der Händler an Suchmaschinen und der Nutzung von Onlinewerbetools (z.B. Adwords) nicht gestattet sind, da der Onlineshop des Händlers, der nicht auf Drittplattformen aktiv sein darf, zumindest über diese Mittel für Kunden auffindbar sein muss. Andernfalls liegt eine verbotene Wettbewerbsbeschränkung vor die untersagt und mit Bußgeldern belegt werden kann. Dies entspricht der Praxis des Bundeskartellamtes und des OLG Düsseldorf in Sachen Asics. Es ist auch sachgerecht. Ist der Händler in der Lage, die qualitativen Kriterien zu erfüllen, sprechen keine legitimen Gründe dafür, dass er nicht im Internet von Kunden aufgefunden werden darf.
Zusammenfassung und Ausblick.
In einer ersten Reaktion ließ das Bundeskartellamt verlautbaren, dass der Anwendungsbereich der Coty-Entscheidung sehr gering sei und die bisherige Praxis des Amtes (lies: Adidas und Asics) nicht berühre. Das ist einerseits richtig, da sich Adidas und Asics nach den obenstehenden Ausführungen nicht 1:1 auf Coty beziehen können. Andererseits hat der EuGH die Schleusen für die Rechtfertigung entsprechender Drittplattformverbote über die allgemeine Freistellung nach Vertikal-GVO jedoch weit geöffnet. In den Niederlanden hat ein Zivilgericht die Drittplattformverbote von Nike bereits für zulässig erklärt. Allzu sicher sollte sich das Bundeskartellamt seiner Sache daher auch bei Produkten ohne Luxusimage nicht sein.
Das Urteil des OLG Frankfurt in Sachen Deuter (Funktionsrucksäcke) zeigt insoweit anschaulich, dass es auch bei Anwendung der Metro-Kriterien über das Luxusimage weitere belastbare Fallgruppen geben wird, anhand derer Drittplattformverboten in selektiven Vertriebssystemen bereits keine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. § 1 GWB darstellt.
Schwerpunkt der Prüfung eines qualitativ selektiven Vertriebssystems (mit Drittplattformverboten) wird in Zukunft daher sein, ob dieses vor dem Hintergrund der konkreten Produktbeschaffenheit und der gewählten Kriterien tatsächlich legitimen Interessen (Qualitätswahrung, Produktsicherheit) oder der bloßen Verkleinerung der Absatzkanäle dient.
Zudem rückt das Verbot der diskriminierenden Anwendung der Kriterien in den Fokus. Klar ist, das Hersteller, die Amazon selbst als Händler zulassen, anderen Händlern den Vertrieb über diese Plattform nicht verbieten können. Aber Hersteller dürften auch dann Drittplattformen nicht wegen eines „Flohmarktimages“ ausschließen können, wenn sie selbst zumindest teilweise über Discounter vertreiben.
Dr. Kim Manuel Künstner berät in allen Bereichen des deutschen und europäischen Kartellrechts sowie der Fusionskontrolle, insbesondere auch zu Kartellschadensersatzverfahren, Vertrags- und Vertriebsgestaltungen sowie der Kommunikation zwischen Herstellern und Handel.